Hintergrund:
Die Konflikte des 21. Jahrhunderts drehen sich vor allem um Ressourcenfragen. Die sozialen Folgen des globalen Klimawandels und kulturelle Voraussetzungen seiner Bewältigung stehen im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Er beschreibt die gegenwärtige ökologisch-politische Weltlage, plädiert für ein neues Denken und zeigt, was jetzt getan werden muss, um Menschheitskatastrophen abzuwenden.
Hierbei können die Kulturwissenschaften eine wichtige Aufgabe übernehmen, denn der Klimawandel bedeutet nicht weniger als eine kulturelle Revolution. Naturwissenschaftler sind zwar mit Komplexität vertraut, aber weniger mit den Deutungs- und Konstruktionsprozessen von Wirklichkeit, die Menschen in normalen wie außergewöhnlichen Zeiten vornehmen, und mit deren unmittelbaren und langfristigen Folgen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Gefragt sind deshalb nicht allein erneuerbare Energien und nachhaltige Umweltpolitiken, sondern vor allem Einsichten in individuelle und kollektive Anpassungs- und Bewältigungsstrategien und in die Wirkungen des Klimawandels auf Gesellschaften und ihre Beziehungen. Zu diesem Zweck erarbeitet die kulturwissenschaftliche Klimaforschung Szenarien und Prognosen, welche kulturellen und sozialen Folgen klimatische Veränderungen nach sich ziehen, genauer:
was die mentalen und symbolischen Formen der Wahrnehmung und Deutung von Erwärmungsfolgen und was die Voraussetzungen für gelingende Anpassungsprozesse an die Folgen des Klimawandels sind.
Die Aufgaben einer kulturwissenschaftlichen Klimaforschung sind vielfältig. Dazu zählt u.a. die minutiöse Analyse mikrosozialen Verhaltens, das etwa in einer Unzahl positiver oder negativer Kauf- und Konsumentscheidungen und äußerst vielschichtiger Aushandlungsprozesse in Haushalten, Unternehmen und Büros besteht. Die Prognosen der naturwissenschaftlichen Klimaforschung und die Programme der politischen, ökonomischen und rechtlichen Regulierung müssen also ergänzt werden durch Szenarien kultureller Entwicklung.
Risikomanagement und Katastrophenvorsorge bedürfen der Ergänzung durch eine kulturelle, auf Persönlichkeit, Mentalitäten und Funktionssysteme bezogene Szenarienbildung. Zu erforschen sind somit Kulturtechniken des Überlebens und neue Formen der Selbstdisziplinierung. Im Klimawandel liegt nicht nur eine erhebliche Gefährdung überkommener Standards des Lebens und Handelns, sondern eben auch die Chance, neue institutionelle und individuelle Formen von Kooperation und Kulturtechniken zur Bewältigung der weit reichenden Gefährdung zu entwickeln. Die Etablierung transnationaler Organisationen (wie zum Beispiel eines internationalen Umweltgerichtshofs) und eine "neue Kultur der Teilhabe" können durch den Klimawandel genauso befördert werden wie ressourcenschonende Technologien oder Logistiken, die die Lebenswelt erheblich verändern werden.
Harald Welzer, geboren 1958, ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke. »Der Spiegel« stellte ihn im August 2007 in seiner Serie herausragender Wissenschaftler als »produktiven Quergeist« einem breiten Publikum vor.
Links zu Rezensionen von "Klimakriege":
http://www.sueddeutsche.de/...
http://www.dradio.de/...
http://www.dradio.de/...
Link zu Interview mit Harald Welzer:
http://www.taz.de/...