Die Verlage folgen bei der Annäherung an die digitalen Medien mehreren strategischen Stoßrichtungen:
- "First Movers" sind investitions-, innovations- und experimentierfreudig. Sie haben schon vor einiger Zeit begonnen, sich in verstärktem Maße auf digitale Medien auszurichten und ihre technischen Kapazitäten auszubauen, um alle Ausgabekanäle zu bedienen. Diese Verlage setzen ihre digitale Strategie bereits um und bieten in größerem Umfang digitale Produkte an. Sie reagieren proaktiv auf den Trend der Digitalisierung, laufen jedoch Gefahr, knappe Ressourcen falsch einzusetzen und jeden Trend mitzugehen.
- Die "Followers" sind gerade dabei, sich strategisch neu zu positionieren oder stehen bereits in den Startlöchern. Auch wenn das digitale Angebot momentan noch nicht sehr ausgeprägt ist, haben sie bereits Vorkehrungen getroffen, um auf zunehmende Digitalisierung und verändertes Nutzerverhalten zu reagieren. Digitale Formate und Online-Angebote sind vorhanden, jedoch im Vergleich zu den "First Movern" in deutlich beschränkterem Umfang. Insgesamt verhalten sie sich bei der Erweiterung und dem Ausbau im Bereich digitale Medien abwartend.
- Die "Conservatives" setzen weiterhin auf das klassische Buch und Druckerzeugnisse. Vereinzelt werden Inhalte in digitalen Formaten angeboten. Eine digitale Strategie existiert nicht oder wurde noch nicht konkretisiert. Trotz der Zurückhaltung gegenüber digitalen Medien beobachten diese Verlage sehr genau, wie sich der digitale Markt entwickelt.
Fachverlage
Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Verlage im Bereich Fachinformation/Wissenschaft mit knapp 64 Prozent die Vorreiter unter den Verlagshäusern sind. Über zwei Drittel in diesem Segment sind "First Mover" Während sich 27 Prozent als "Followers" auf die technischen Neuerungen vorbereiten, verschließen sich lediglich neun Prozent elektronischen Formaten und setzen weiterhin einen starken Fokus auf Print.
Belletristik- und andere Verlage
Diese Verlage sind zum großen Teil den "Followers" zuzurechnen. 60 Prozent der befragten Belletristik-Verlage und 44 Prozent der anderen Verlage stellen sich auf die neuen, digitalen Formate ein und bieten bereits elektronische Produkte an. An vorderster Front einer digitalen Offensive stehen in der Belletristik lediglich ein Fünftel, bei den anderen Verlagen bereits ein Drittel der Verlagshäuser. Etwa 20 Prozent der Belletristik- und anderen Verlage sind den "Conservatives" zuzurechnen.
Die Zukunft der Verlage
"Die Zukunft der Verlage liegt klar in der Diversifizierung", so Dr. Alexander Henschel, Managing Director bei goetzpartners und Verantwortlicher für die Studie. "Sie müssen den Leser auf einer Vielzahl von Endgeräten erreichen (Multi-Plattform Strategie) und ihr Produktangebot diversifizieren, in dem sie in benachbarte Produktbereiche und Services vorstoßen."
Einige Verlage befolgen diese Strategie bereits. So kreieren sie für ihre Kundengruppen ganze Markenwelten, welche sie auf verschiedene Endprodukte ausrollen. Anfangs noch auf das Buch beschränkt, geht diese Markenbildung bis hin zur Lizenzierung für Videospiele. Andere Verlage konzentrieren sich auf das Informationsbedürfnis ihrer Kundengruppe und versuchen, dieses zu jederzeit und vollumfassend zu bedienen, beispielsweise durch umfassende Präsenz in den digitalen Medien oder die Entwicklung von Software und Schulungen. Das Verlagshaus wird damit zum Informationslieferant, unabhängig vom gewählten Transportmedium.
"Der Paradigmenwechsel hin zu den Informationsbedürfnissen der Kunden und in die digitale Welt ist für viele Verlage eine Herkulesaufgabe", so Dr. Alexander Henschel. Neben der Einbettung der neuen Produkte müssen alte Strukturen aufgebrochen und Freiräume für Experimente und Ideen geschaffen werden - eine bedeutende Veränderung zu den bisherigen Strukturen.
Neue Erlösmodelle
Der Heilsbringer der Verlage sind nach Einschätzung der Befragten attraktive und kostengünstige Paid-Content-Modelle, die unabhängig von den großen Playern wie Google und Amazon angeboten werden können. Mit der Einführung der Tablet Computer und Smartphones verbinden viele der Befragten die Hoffnung auf neue Erlösquellen, da sie mit den digitalen Produkten ihre Angebote exakt auf ihre Kundengruppe zuschneiden und zu attraktiven Preisen anbieten können. Gerade Fachverlage sehen hierin große Chancen, da sie bereits jetzt nah an ihrer Zielgruppe sind und ihre individuellen Präferenzen kennen. Insgesamt nutzen zwei Drittel der Verlage soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter zum Austausch mit ihren Lesern. Etwa 36 Prozent verfügen über eigene Foren, Chats und Plattformen. Daneben ist Crowd Sourcing, also die aktive Einbindung der Zielgruppe in die Content-Generierung und -bewertung - ein wichtiger Trend. "Nutzer wollen zunehmend mitgestalten. Für Verlage ist Crowd Sourcing ideal, um ihre Zielgruppe kennenzulernen, sie durch passgenaue Angebote an sich zu binden und sich vom Wettbewerb zu differenzieren", sagt Runar Friedrich, Senior Consultant und Autor der Studie.
Um die Akzeptanz der Kunden zu gewinnen, reicht es jedoch nicht, ein Buch lediglich als E-Book anzubieten. Vielmehr muss das das E-Book in eine intelligente Preis- und Produktpolitik überführt werden: Das reine E-Book sollte signifikant günstiger als die Printversion sein. Werden zusätzliche Applikationen wie Audio-Kommentare, Hintergrund-Infos, Bewegtbilder etc. integriert, welche dem Kunden einen echten Mehrwert bieten, sind die Kunden bereit, einen gleichwertigen oder sogar höherer Preis im Vergleich zur Print-Version akzeptieren.
Hintergrund zur Studie:
Für die Studie wurden Geschäftsführer, IT-Leiter und Verantwortliche im Bereich Neue Medien und Produktentwicklung zwischen Juni und August 2010 befragt. Insgesamt haben 25 der 50 größten deutschen Verlagshäuser an der Studie teilgenommen. Die hohe Beteiligungsquote von 50% spiegelt die Brisanz der Themen und das Interesse an den digitalen Herausforderungen und zukünftigen Trends wider.