Sie wirken wie Relikte aus der Urzeit – Bremsen, diese hartnäckigen, blutsaugenden Insekten, die jedes Jahr mit zunehmender Sommerwärme in Erscheinung treten und für Menschen wie Tiere zum Problem werden können. Dabei unterschätzt die Öffentlichkeit vielfach nicht nur die schiere Widerstandskraft dieser Plagegeister, sondern auch die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen ihrer Bisse. Was nach einem schmerzhaften Zwischenfall am Badesee aussieht, kann unter bestimmten Bedingungen ernste Komplikationen nach sich ziehen – medizinisch wie veterinärisch. Während viele Insektenarten unter dem Klimawandel und der Zerstörung von Lebensräumen leiden, trotzen Bremsen den Widrigkeiten und behaupten ihre Rolle im Ökosystem – als aggressive Jägerinnen und zugleich Bestäuber und Aasverwerter. Ein umfassender Blick auf Biologie, Prävention, Irrtümer und Handlungsmöglichkeiten zeigt: Der Umgang mit Bremsen verlangt mehr als ein Schimpfwort und ein kühlendes Gel.
Der Schmerz kommt blitzartig: Eine Bremse beißt nicht wie eine Mücke, sie reißt mit ihren säbelartigen Mundwerkzeugen die Haut auf, speichelt gerinnungshemmende Enzyme in die Wunde und beginnt dann zu saugen – und das häufig mehrmals hintereinander. Dabei entstehen bis zu mehrere Zentimeter große Quaddeln, die nicht nur jucken, sondern sich bei Infektion oder allergischer Reaktion auch dramatisch ausweiten können. Schwellungen, Fieber, Schüttelfrost und Atemnot gehören zu den möglichen Folgen. Besonders problematisch wird es, wenn Betroffene den Biss aus Unkenntnis kühlen, was die Wirkung der injizierten Eiweiße verlängern kann. Effektiver ist gezielte Hitze: Temperaturen ab 40 Grad zerstören das Bremsenprotein, lindern so den Juckreiz und unterbrechen den Entzündungsreiz. Ein mit heißem Wasser erwärmter Löffel, ein Taschenwärmer oder ein Wärmepflaster können hier Erste Hilfe leisten – vorausgesetzt, die Haut ist nicht offen oder entzündet.
Verbreitet sind auch Hausmittel, doch ihre Wirkung ist umstritten. Aloe Vera etwa wirkt kühlend und entzündungshemmend, kann bei sensibler Haut aber Irritationen auslösen. Kokosöl gilt als antimikrobiell, kann aber allergene Substanzen enthalten. Zwiebelsaft ist zwar antibakteriell, reizt aber offene Wunden. Die Devise lautet also: Anwendung nur nach Test und niemals bei offenen Stellen. Wesentlich entscheidender als die Nachbehandlung ist jedoch der Schutz vor dem Angriff – denn Bremsen suchen ihre Opfer gezielt, gesteuert durch Wärme, Geruch und Bewegung. Besonders anfällig sind Menschen mit dunkler Kleidung, starker Transpiration oder Aufenthalt in Gewässernähe. Entsprechend helfen lange, helle Kleidung, regelmäßiges Duschen, Insektenschutzmittel mit DEET oder Icaridin – und Wind. Denn Bremsen sind schwache Flieger und meiden luftige Plätze. Ein kleiner Ventilator auf der Terrasse kann mehr ausrichten als jede Chemie.
Wer denkt, Bremsen seien fliegende Zufallsprodukte, irrt: Die Biologie der rund 30 mitteleuropäischen Arten zeigt eine erstaunliche Anpassungsleistung. Während Männchen harmlos Nektar sammeln und zur Bestäubung beitragen, entwickeln die Weibchen hochspezialisierte Jagdstrategien. Ihre Larven leben räuberisch im Boden oder Wasser, ernähren sich von Insektenlarven und zersetzen organisches Material. Damit sind Bremsen zugleich Schädlingsbekämpfer und Müllabfuhr. In der Nahrungskette dienen sie als Beute für Vögel, Amphibien, Libellen oder Spinnen. Und dennoch gelten sie zu Recht als Plage: Auf Weiden und Pferdekoppeln sorgen sie für Unruhe, Leistungseinbußen und Verletzungen durch Abwehrverhalten. In der Landwirtschaft zählen sie zu den kostenintensiven Parasiten. Dennoch sind großflächige Bekämpfungsmaßnahmen heikel: Bremsenfallen fangen zwar Insekten – aber häufig nicht die richtigen. Studien belegen, dass weniger als 4 Prozent der Gefangenen tatsächlich Bremsen sind, während viele gefährdete Arten dezimiert werden.
Anders als gemeinhin vermutet, leiden Bremsenbestände kaum unter Umweltveränderungen. Ihre Fortpflanzung ist robust, ihre Entwicklung unabhängig von monokulturellen Agrarzyklen. Sie profitieren sogar von extensiver Viehwirtschaft, warmfeuchtem Wetter und stagnierendem Wasser. Der Klimawandel begünstigt ihre Ausbreitung – nicht nur in klassischen Feuchtgebieten, sondern zunehmend auch in Stadtrandlagen mit künstlich angelegten Teichen oder Parkanlagen. Inzwischen gibt es auch erste Beobachtungen urbaner Bremspopulationen in Berlin, Leipzig und Hamburg. Parallel steigt das Risiko für Mensch und Haustier. Besonders Hunde, deren Aufenthalte auf Wiesen kaum kontrollierbar sind, werden regelmäßig gebissen. Pferde reagieren oft panisch, was nicht nur Verletzungsgefahr bedeutet, sondern auch die Notwendigkeit intensiver Betreuung und Insektenabwehr mit sich bringt. Spezialdecken, Repellentien und Bremsenschutzmasken sind längst Standard im Reitsport.
In der medizinischen Versorgung führen Bremsenbisse immer wieder zu Fehleinschätzungen. Oft werden sie mit infizierten Mückenstichen oder Herpes verwechselt. Gerade im Frühsommer häufen sich dermatologische Anfragen, die auf entzündete Bissstellen zurückgehen – mitunter über Wochen hinweg nicht abklingend. Dabei wäre Prävention relativ einfach: rechtzeitiger Einsatz von Repellents, bewusste Kleiderwahl und Meidung besonders belasteter Gebiete. Apps mit Insektenradar, wie sie zunehmend aus den USA und Skandinavien übernommen werden, könnten auch in Deutschland nützlich sein – etwa zur Warnung vor Brutzeiten oder Aktivitätspeaks. Gerade Allergiker oder immungeschwächte Personen sollten mit entsprechender Vorsorge arbeiten.
Auch wenn Bremsen kaum Träger gefährlicher Tropenkrankheiten sind, wie es etwa Zecken oder Mücken in bestimmten Regionen sein können, sollte ihr gesundheitliches Potenzial nicht unterschätzt werden. Gerade weil sie tagsüber aktiv sind und auffällige Flugbahnen wählen, unterschätzt man oft ihre Entschlossenheit. Der Biss ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter Jagd – die Bremse beobachtet, zielt, landet, beißt und fliegt mit vollgesogenem Hinterleib davon. In ihrer Effizienz und Anpassung sind sie Meisterwerke der Evolution – und ein Warnsignal für unser gestörtes Verhältnis zur Natur. Wo Feuchtbiotope verschwinden und Biodiversität schwindet, bleiben am Ende oft die zähesten Arten zurück – und das sind nicht immer die freundlichsten.
Von Engin Günder, Fachjournalist