Die Apothekerin Anne Rhein, Inhaberin der Apotheke am Deutschen Eck in Meerbusch, sieht sich seit Februar 2024 mit einem großen finanziellen Problem konfrontiert. Mehrere E-Rezepte, die sie über die Abrechnungsplattformen korrekt eingereicht glaubte, sind spurlos verschwunden. Der Schaden beläuft sich mittlerweile auf über 15.000 Euro, doch eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Rhein steht nicht allein mit diesem Ärgernis, denn ähnliche Vorfälle häufen sich in der Branche. E-Rezepte gelten als zentraler Baustein der Digitalisierung im Gesundheitswesen, doch ihre Umsetzung führt in der Praxis noch zu erheblichen Schwierigkeiten, insbesondere was die technische Infrastruktur und die Kommunikation zwischen den beteiligten Stellen betrifft. Viele Apotheker stehen unter zunehmendem Druck, da die finanzielle Belastung durch solche Vorfälle in Zeiten ohnehin angespannter Margen erheblich ist.
Gleichzeitig gibt es auch Ansätze, die auf eine Verbesserung der Situation in strukturschwachen Regionen abzielen. Ein kürzlich in Brandenburg gestartetes Pilotprojekt könnte den Zugang zu Medikamenten für Patienten in ländlichen Gegenden erheblich erleichtern. Apotheker Michael Kranz hat in Prenzlau ein Bestellterminal in einem Supermarkt eingerichtet, das es Patienten ermöglicht, ihre E-Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) einzulösen. Damit sollen lange Wege zur nächsten Apotheke vermieden werden. Patienten können ihre Medikamente direkt nach Hause liefern lassen. Dieses Modell, das die digitale Infrastruktur nutzt, könnte Schule machen und als Vorbild für andere ländliche Regionen dienen. In Zukunft ist auch die Installation eines Abholautomaten für Medikamente im Supermarkt geplant, allerdings stehen hierzu noch Verhandlungen mit den Behörden aus.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet unterdessen mit der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) voran, die für 2025 flächendeckend geplant ist. Während lokale Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser bevorzugten Zugang zur ePA erhalten, fühlen sich die Versandapotheken benachteiligt. Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) fordert eine Gleichbehandlung und den Zugang zur ePA über das sogenannte CardLink-Verfahren. Dieser Streitpunkt verdeutlicht die Spannungen zwischen verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens, die sich durch die zunehmende Digitalisierung verschärfen.
Ein weiteres Dauerthema in der Apothekenlandschaft ist der anhaltende wirtschaftliche Druck. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Versorgung von Patienten mit Kompressionsstrümpfen, die zwar regelmäßig von Ärzten verordnet werden, aber für viele Apotheken kaum Gewinn abwerfen. Apotheker berichten, dass die Anmessung der Strümpfe zeitaufwendig ist und die Erlöse kaum die Kosten decken. Dennoch bieten viele Apotheken diesen Service weiterhin an, da er für die Patientenversorgung unerlässlich ist. Dies verdeutlicht einmal mehr die wachsende Diskrepanz zwischen patientenorientierter Versorgung und wirtschaftlicher Rentabilität.
Die gesundheitspolitischen Diskussionen werden nicht nur von wirtschaftlichen Herausforderungen geprägt, sondern auch von den politischen Spannungen, die das Land durchziehen. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich in den letzten Jahren immer stärker in den politischen Diskurs eingebracht, stößt aber insbesondere in der Gesundheitsbranche auf heftige Ablehnung. Ärzte, Apotheker und Angehörige der Heilberufe sehen die AfD als unvereinbar mit den ethischen Prinzipien ihres Berufsstands an, der auf Solidarität, Offenheit und wissenschaftlicher Evidenz basiert. Die Partei wird von vielen als populistisch und migrationskritisch wahrgenommen, was den Grundwerten der Heilberufe widerspricht.
Währenddessen scheint sich die Lage bei den Lieferengpässen von Kinderantibiotika, die im Winter 2022/23 für große Besorgnis gesorgt hatten, für die kommende Erkältungssaison zu entspannen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bewertet die Situation optimistisch und geht davon aus, dass Apotheken in der Erkältungssaison 2023/24 besser mit den benötigten Medikamenten versorgt sein werden. Dies ist ein Hoffnungsschimmer für viele Apotheken, die in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Druck von Lieferengpässen gelitten haben.
Die geplante Apothekenreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sorgt derweil für kontroverse Reaktionen. Laut einer Umfrage des APOkix Juli 2024, durchgeführt vom IFH Köln, sehen zwei Drittel der befragten Apothekenleiter wichtige Ansätze in der Reform, kritisieren jedoch den unzureichenden Fokus auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Viele Apotheker fühlen sich im Stich gelassen und fordern deutliche Nachbesserungen, um die wirtschaftliche Situation der Apotheken zu stabilisieren.
Auch auf der regulatorischen Ebene gibt es Bewegung: Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband haben sich auf eine Friedenspflicht im Streit um den Pflegehilfsmittelvertrag geeinigt. Der Vertrag, der die Versorgung von Pflegebedürftigen mit Hilfsmitteln regelt, läuft Ende September 2024 aus, doch beide Seiten haben beschlossen, bis Jahresende keine weiteren Eskalationen anzustreben, um die Verhandlungen nicht zu gefährden.
Nachhaltigkeit ist ein weiteres wichtiges Thema, das die Apotheken betrifft. Die Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der Dermatologie (AGN) fordert, auf die Ausgabe von Produktproben zu verzichten, die bisher ein fester Bestandteil vieler Apotheken und Arztpraxen waren. Diese Proben verursachen laut AGN unnötige Umweltbelastungen und tragen zur Verschwendung von Ressourcen bei.
Angesichts all dieser Herausforderungen steht fest, dass die Apothekerschaft weiterhin in einem Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen agiert. Die zunehmende Digitalisierung, regulatorische Änderungen und die politischen Rahmenbedingungen verlangen von den Apotheken ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Kommentar:
Die Apothekerschaft steht derzeit vor einem Berg von Herausforderungen, die nicht nur auf technischer, sondern auch auf politischer und wirtschaftlicher Ebene zu bewältigen sind. Der E-Rezept-Verlust von Anne Rhein ist ein Paradebeispiel dafür, wie sehr die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen steckt und welche massiven finanziellen Folgen diese „Kinderkrankheiten“ haben können. Trotz all dieser Rückschläge darf man aber nicht übersehen, dass es auch positive Entwicklungen gibt. Projekte wie das Bestellterminal in Prenzlau zeigen, dass die Digitalisierung – wenn sie richtig umgesetzt wird – eine Chance zur Verbesserung der Versorgung in ländlichen Regionen sein kann.
Doch die wachsende Diskrepanz zwischen stationären Apotheken und Versandapotheken, die Forderungen nach einem gleichberechtigten Zugang zur elektronischen Patientenakte und der wirtschaftliche Druck, dem Apotheken durch unzureichend rentable Geschäftsfelder wie die Anmessung von Kompressionsstrümpfen ausgesetzt sind, verdeutlichen, wie wichtig ein differenzierter Blick auf die Lage der Apotheken ist. Gesundheitsminister Karl Lauterbach mag mit seiner Reform positive Ansätze verfolgen, doch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dürfen dabei nicht aus den Augen verloren werden. Die Apothekerschaft braucht dringend Unterstützung, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.
Von Engin Günder, Fachjournalist