Der Umgang mit Hochpreisarzneimitteln konfrontiert Apotheken nicht nur mit logistischen und organisatorischen Herausforderungen, sondern mit einer zunehmend kritischen Risikoverlagerung in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Inhaberinnen und Inhaber, die solche Präparate abgeben, müssen regelmäßig in Vorleistung gehen – oftmals im fünfstelligen Bereich –, ohne Gewissheit über die Rückvergütung zu haben. Das bringt nicht nur Liquiditätsreserven ins Wanken, sondern rückt ein Thema in den Fokus, das bislang vielerorts unterschätzt wurde: die Notwendigkeit einer professionellen Retax-Versicherung.
Denn während klassische Betriebshaftpflicht oder Inhaltsversicherungen den materiellen Schaden im Fall von Diebstahl, Feuer oder Leitungswasser abdecken, adressiert eine Retax-Versicherung die reale wirtschaftliche Gefahr, die durch abgelehnte oder gekürzte Rezeptabrechnungen entsteht. Und genau hier liegt der neuralgische Punkt bei Hochpreisern: Wird ein solches Rezept wegen Formfehler, Fristversäumnis oder unzureichender Begründung retaxiert, bleibt die Apotheke auf dem Schaden sitzen. Bei Standardverordnungen mögen das einige hundert Euro sein – bei Hochpreisern jedoch geht es schnell um Beträge, die das Eigenkapital aufzehren oder gar existenzbedrohend wirken.
Deshalb gehört zur professionellen Betriebsführung heute eine differenzierte Risikoeinschätzung – mit klaren Prozessen zur Rezeptprüfung, belastbaren Rückfragen bei unklaren Verordnungen und eben auch einer strukturierten Absicherung über eine Retax-Versicherung. Diese Policen bieten je nach Anbieter Schutz bei unverschuldeten Formfehlern, Fristenverstößen oder problematischen Indikationskonflikten, wenn der pharmazeutische Ermessensspielraum durch die Krankenkassen nicht anerkannt wird.
Wichtig ist allerdings: Nicht jede Retax-Versicherung deckt den Hochpreissektor automatisch ab. Viele Anbieter arbeiten mit Deckelungen, Ausschlussklauseln oder Selbstbeteiligungen, die gerade im Bereich der Hochpreiser zu problematischen Deckungslücken führen können. Apothekeninhaber müssen deshalb genau prüfen, ob ihre Police auch für Präparate mit einem Einkaufspreis über 5.000 oder 10.000 Euro greift – und wie das Verfahren im Schadensfall aussieht.
Parallel dazu ist ein engmaschiges internes Kontrollsystem unerlässlich. Retaxationen im Hochpreissegment sind nicht nur teuer, sondern oft auch Folge vermeidbarer Fehler: ein fehlender Arztstempel, eine unklare Dosierung, eine nicht gesetzte Austauschkennzeichnung. Solche Details dürfen bei Hochpreisern nicht dem Zufall überlassen werden. Apotheken sollten daher eine interne Vier-Augen-Prüfung, eine SOP-gebundene Checkliste und regelmäßige Fortbildungen für das Team implementieren.
Zusätzlich gilt: Vor jeder Bestellung eines Hochpreisers sollte eine konkrete Liquiditätsprüfung erfolgen. Kann die Apotheke diese Vorleistung aus eigenen Mitteln tragen? Oder muss sie mit Factoring, Kreditlinien oder Eigenbeteiligung der Kundschaft arbeiten? Denn selbst wenn die Retax-Versicherung im Nachhinein greift, bleibt der kurzfristige Kapitalabfluss ein ernstes Problem.
Insgesamt zeigt sich: Wer Hochpreiser abgibt, trägt nicht nur pharmazeutische Verantwortung, sondern wirtschaftliche Haftung – und braucht dafür ein System aus Absicherung, Risikobewusstsein und betrieblicher Sorgfalt. Retax-Versicherungen sind dabei kein Zusatzprodukt, sondern betriebliche Notwendigkeit in einem Markt, der zunehmend von Unsicherheiten, Erstattungsverweigerungen und Liquiditätsfallen geprägt ist. Wer hier nicht vorbereitet ist, zahlt im Ernstfall mit der eigenen Existenz.
Von Engin Günder, Fachjournalist