Der Abschied von Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister markiert das Ende einer konfliktreichen Amtszeit, die von Widersprüchen geprägt war. Während er in seiner Rückschau das Gesundheitsministerium als eines der besten Häuser der Bundesregierung lobte, erinnern sich viele Leistungserbringer – allen voran die Apothekerschaft – an eine Phase der Nicht-Kommunikation. Dass er erst neun Monate nach Amtsantritt das erste Gespräch mit der ABDA führte, bleibt symptomatisch. Apothekertage mied er konsequent, übermittelte Grußworte per Videoschalte. Und doch: Unter seiner Führung wurden E-Rezept und ePA auf den Weg gebracht – digitalpolitisch sichtbar, praktisch aber unvollständig implementiert. Seine Nachfolgerin Nina Warken, bislang vor allem in Innen- und Rechtspolitik tätig, übernimmt das Amt mit dem Versprechen von Dialog, Respekt und Struktur. Die Apothekerschaft hört genau hin, denn mit dem angekündigten Fixum von 9,50 Euro, der Diskussion um ein Landapotheken-Korridormodell bis 11 Euro sowie den ausbleibenden Abrechnungszahlen bei den pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) hat sich ein Reformstau aufgebaut, den die neue Ministerin auflösen muss. Allein im Jahr 2023 wurden nur rund 18 Millionen Euro aus dem 150-Millionen-Euro-pDL-Topf abgerufen. Preis bezeichnet die pDL dennoch als Erfolg, doch angesichts der Unterauslastung ist Skepsis angebracht. Der Fonds droht zur Zielscheibe der Kassen zu werden.
Ein weiteres Streitthema spitzt sich juristisch zu: der Rx-Boni-Konflikt. Der Bundesgerichtshof könnte erneut darüber entscheiden, ob EU-Versender Boni auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren dürfen. Das E-Rezept verändert das Spielfeld: Anders als 2016 ist der Zugang der Versender nun digital abgesichert, was eine neue rechtliche Bewertung erfordert. Für die Präsenzapotheken steht viel auf dem Spiel – wirtschaftlich wie ordnungspolitisch.
In Sachsen sendet derweil ein neuer Gehaltstarifvertrag ein positives Signal. Ab Juli 2025 erhalten Apothekenmitarbeitende ein Plus von 160 Euro. Auch die Ausbildungsvergütungen steigen. Währenddessen feiert apotheken.de ein Vierteljahrhundert digitale Apothekeninfrastruktur – ein Kontrast zum politischen Stillstand in Berlin. Die Apothekerschaft fordert mehr als warme Worte: Sie erwartet politische Entschlossenheit, strukturelle Umsetzbarkeit und eine verlässliche Perspektive. Warken steht unter Druck – nicht nur durch die Aufgaben, sondern auch durch das Versäumnis ihres Vorgängers, echte Reformen konkret und tragfähig zu gestalten.
Kommentar:
Ein Ministerwechsel ist oft ein symbolischer Schnitt. Doch im Fall des Gesundheitsministeriums geht es um mehr: Karl Lauterbach hinterlässt keine Leerstelle, sondern ein Feld ungelöster Konflikte. Die Apothekerschaft wurde lange ignoriert, vertröstet, beschwichtigt – während das politische Zentrum mit digitalen Experimenten beschäftigt war. E-Rezept und ePA mögen als Fortschritte gelten, aber ihr Nutzen bleibt begrenzt, solange Prozesse instabil und Schnittstellen ungeklärt sind. Das Vertrauen in die Gesundheitspolitik ist beschädigt – nicht ideologisch, sondern praktisch. Die neue Ministerin Nina Warken beginnt mit ruhigen Tönen, das ist klug. Doch Worte werden in dieser Branche schneller gemessen als in anderen. Der Druck ist immens: Die pDL drohen zu scheitern, weil der Rückhalt in den Apothekenteams fehlt und die Förderung nicht in der Fläche ankommt. Der Fixum-Streit eskaliert, weil das Versprechen von 9,50 Euro immer noch Theorie ist. Und der Rx-Boni-Prozess könnte alte Wunden wieder aufreißen – diesmal mit den Werkzeugen digitaler Verfügbarkeit. Die politische Lage ist angespannt, die Haushaltslage ebenso. Wenn Warken ernst genommen werden will, muss sie priorisieren: Versorgungssicherheit vor Verordnungspolitik, Finanzierung vor Fassaden, Rechtsklarheit vor Dialogrhetorik.
Die Apothekerschaft ist kein monolithischer Block. Doch sie erwartet ein Mindestmaß an Planbarkeit. Ohne Fixum keine Stabilität, ohne Klartext keine Kooperation. Die pDL müssen strukturell verankert, das Berufsbild gestärkt, die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt werden. Reformversprechen genügen nicht mehr. Die neue Ministerin hat nur ein schmales Zeitfenster, um zu beweisen, dass sie nicht bloß Lauterbachs Schatten verwaltet. Eine strategische Verständigung mit ABDA und Bundeswirtschaftsministerium wäre ein erster Schritt. Entscheidend bleibt aber: Wird aus Ankündigung endlich Handlung?
Von Engin Günder, Fachjournalist