Wenn inmitten der historischen Altstadt ein Feuer ausbricht, denken viele zuerst an marode Leitungen, defekte Elektrogeräte oder eine achtlos weggeworfene Zigarette. Doch dass Apotheken längst zu zentralen Risikopunkten für urbane Schadensketten geworden sind, entzieht sich dem öffentlichen Bewusstsein ebenso konsequent wie der regulatorischen Weitsicht. In einem dicht besiedelten Quartier kann ein einziger, vermeintlich lokalisierter Zwischenfall – etwa eine chemische Reaktion in einer Rezeptur oder ein thermischer Kurzschluss im Kühllager – zur Katastrophe für Nachbargebäude, Passanten und ganze Straßenzüge werden. Dabei ist es nicht allein der Brand, der gefährdet: Es ist das Systemversagen im Hintergrund – das Versäumnis, Risiken zu bewerten, sie zu versichern, und den Brandschutz auf die realen Anforderungen eines pharmazeutischen Mikrobetriebs auszurichten. Wenn Versicherer dann auch noch Deckung verweigern, weil Apotheken standardisiert behandelt werden wie Einzelhändler, tragen am Ende Dritte die Last: Eigentümer, Mieter, Anwohner – und nicht zuletzt die öffentliche Hand.
Während Apotheken also real gefährden können, stehen sie gleichzeitig unter Beschuss: rechtlich, kriminell, kommunikativ. Jüngste Razzien in München und Potsdam zeigen, wie tief der Verdacht des Arzneimittelmissbrauchs in die Kernbereiche der Versorgung hineingreift. Vier Apotheken wurden durchsucht, zwei Personen stehen im Verdacht, gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen zu haben. Die Details sind noch nicht bekannt – doch die Symbolik ist eindeutig: Die öffentliche Apotheke steht nicht mehr nur im Verdacht, ineffizient zu sein. Sie wird zunehmend kriminalisiert, in Einzelfällen zurecht, im öffentlichen Bild jedoch oft pauschal. Es ist ein Klima der Verdächtigung, das sich auch andernorts niederschlägt – etwa bei der Apobank, die aktuell Zielscheibe für ausgeklügelte Phishing-Angriffe ist. Betrüger versuchen systematisch, über Briefe, Mails und Telefonanrufe an die sensiblen Daten von Apotheken zu gelangen. Der Schaden ist noch nicht quantifizierbar – aber der Vertrauensverlust schreitet voran.
Parallel dazu wächst ein weiteres Problem im Verborgenen: Rezeptfälschungen nehmen zu – nicht mehr nur bei Lifestyle-Medikamenten, sondern inzwischen auch im hochsensiblen Bereich der Onkologie. Die AOK Nordost warnte bereits im Januar vor gefälschten Rezepten für das Krebsmedikament Lonsurf – jetzt ist der Schaden bereits sechsstellig. Apotheken müssen mit gefälschten Verordnungen hantieren, erkennen die Fälschung nicht immer sofort, werden im schlimmsten Fall selbst zu Opfern – oder Mitverantwortlichen. Die bürokratischen Hürden bei der Prüfung steigen, der Druck wächst, und der Frust in den Teams ist spürbar. Denn in der Regel bleibt die aufwendige Recherche, der Austausch mit der Arztpraxis und das Risiko bei der Apotheke – ohne Gegenleistung. Kommt dann auch noch ein digitaler Systemfehler hinzu, wie im Fall der E-Rezepte, die nicht korrekt auf der eGK gespeichert sind, verkehrt sich jede Effizienzidee in ihr Gegenteil. Kein Honorar, kein Vertrauen, keine Wertschätzung.
Und während sich auf operativer Ebene die Brüche häufen, verspielen politische Akteure das letzte Kapital: das Vertrauen. Die Äußerung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum künftigen Ehrentag der Verfassung mag wohlmeinend gewesen sein – doch sie zeigt, wie sehr Sprache Realitäten verzerren kann. Wenn in seinem Manuskript plötzlich von „Online-Apotheke“ die Rede ist, wird die Apotheke vor Ort zur Fußnote des digitalen Fortschritts. Apothekerinnen und Apotheker sind nicht beleidigt – sie sind enttäuscht. Denn es geht nicht um Eitelkeit, sondern um Sichtbarkeit. Die öffentliche Apotheke ist kein Online-Widget, sie ist ein persönlicher Raum für Versorgung, Sicherheit und Gespräch. Wenn ausgerechnet das höchste Amt im Staat diesen Raum rhetorisch übergeht, dann ist das mehr als ein Fauxpas. Es ist ein Alarmzeichen.
Zwischen Apothekenbrand, Arzneimittelfälschung, digitaler Sabotage und symbolischer Missachtung entsteht ein Muster: Der Apothekenbetrieb wird gleichzeitig entgrenzt und entwertet. Er ist Hochrisikozone, Ziel krimineller Machenschaften, Prüffall der IT-Infrastruktur, Projektionsfläche politischer Symbolik – aber kaum mehr Mittelpunkt der Versorgungspolitik. Die Konsequenz: Verantwortung bleibt unklar, Regulierung bleibt diffus, Entlastung bleibt aus. Das System ist überfordert, und die Betroffenen stehen allein.
Die Frage, die bleibt, ist daher keine rhetorische, sondern eine systemische: Wer schützt eigentlich die Apotheke – und wen schützt sie noch, wenn sie selbst nicht mehr geschützt wird?
Von Engin Günder, Fachjournalist