Datenschutz contra Marktmacht – Der BGH rügt Amazon, doch das System bleibt
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem Urteil zur Bestellung von apothekenpflichtigen, aber nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten (OTC-Präparate) über den Online-Marktplatz Amazon ein klares Zeichen gesetzt: Persönliche Gesundheitsdaten genießen besonderen Schutz und dürfen nicht ohne ausdrückliche Einwilligung weitergegeben werden. Geklagt hatte ein Münchener Apotheker, der durch den Vertrieb seiner Produkte auf der Plattform festgestellt hatte, dass Amazon personenbezogene Daten seiner Kundschaft ohne deren aktive Zustimmung an ihn als Händler übermittelte. Der BGH stufte dies als Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein und gab dem Apotheker Recht.
Die unmittelbaren Folgen dieses Urteils sind gravierend: Zahlreiche Händler auf dem Amazon-Marktplatz haben den Versand apothekenpflichtiger OTC-Produkte vorübergehend eingestellt. Die technische Infrastruktur des US-Giganten sieht bislang keine standardisierte, vorangestellte Einwilligungsabfrage für sensible Gesundheitsdaten vor – ein Versäumnis, das nach deutschem und europäischem Datenschutzrecht nun nicht mehr tolerierbar ist. Für die betroffenen Händler bedeutet dies einen empfindlichen Umsatzeinbruch. Viele hatten sich in ihrer Vertriebsstrategie stark auf die Reichweite und Marktmacht von Amazon gestützt. Die spontane Unterbrechung des Versandgeschäfts trifft sie wirtschaftlich ins Mark.
Dennoch dürfte der Sieg des klagenden Vor-Ort-Apothekers allenfalls symbolischer Natur bleiben. Denn strukturell ändert das Urteil wenig am Prinzip der Marktplatzlogik. Die Entscheidung entfaltet zwar Signalwirkung – besonders für Plattformen mit internationaler Reichweite –, doch Amazon wird aller Voraussicht nach kurzfristig eine datenschutzkonforme Lösung implementieren. Auch wenn die Versender zunächst ausgebremst sind, wird die Verkaufsmaschinerie mit neuen technischen Anpassungen bald wieder anlaufen. Damit gerät die Hoffnung mancher Apothekenbetreiber auf eine nachhaltige Verlagerung von Kunden zurück in die Offizin ins Wanken.
Das Urteil bringt also keine grundsätzliche Korrektur des Systems. Vielmehr zwingt es lediglich zu einer besseren juristischen Absicherung bestehender Strukturen. Der Fall zeigt exemplarisch, wie schwer sich kleinere Akteure damit tun, sich gegen die globalen Mechanismen digitaler Plattformökonomie durchzusetzen. Inmitten von Datenschutzbestimmungen und Marktzwängen geraten sie schnell in eine Position, die an einen Kampf gegen Windmühlen erinnert.
Was auf den ersten Blick wie ein Durchbruch für den Datenschutz und eine Anerkennung der Rolle von Vor-Ort-Apotheken erscheint, offenbart bei näherem Hinsehen vor allem eines: die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber einem System, das längst globalisiert und technisch übermächtig agiert. Der BGH hat juristisch korrekt entschieden, keine Frage – und das Urteil ist zweifellos ein Weckruf für alle Plattformbetreiber, sich mit der DSGVO nicht länger oberflächlich auseinanderzusetzen. Aber es ändert nichts an den strukturellen Realitäten eines Marktes, in dem Größe, Effizienz und Reichweite über Erfolg entscheiden.
Amazon wird – vermutlich schneller als gedacht – eine datenschutzkonforme Einwilligungslösung einbauen. Der Verkauf wird weitergehen, der Markt sich nur geringfügig verschieben. Die betroffenen Händler werden ihre Verluste kurzzeitig beklagen, sich dann aber in das neue Schema einfügen. Und der Münchener Apotheker? Er wird medial gefeiert, lokal anerkannt – und doch mit ansehen müssen, wie der digitale Koloss unbeeindruckt weiterzieht.
Die eigentliche Lehre dieses Falls ist daher nicht juristischer Natur, sondern politisch und ökonomisch: Solange Plattformen wie Amazon nicht nur Verkaufs-, sondern zunehmend auch Gesundheitsinfrastruktur bereitstellen, braucht es keine Einzelklagen, sondern strategische Regulierung. Datenschutz muss mehr sein als ein Abwehrrecht – er muss integrativer Bestandteil einer europäischen Digitalpolitik werden, die systemische Machtkonzentrationen ernsthaft in Frage stellt. Andernfalls bleibt jeder Sieg vor Gericht ein Pyrrhussieg – und die Windmühlen drehen sich weiter.
BGH prüft Erfolgshonorare von Studienplatzvermittlern – Vertragsmodell von StudiMed auf dem Prüfstand
Der Bundesgerichtshof (BGH) befasst sich mit einem Grundsatzverfahren zur rechtlichen Bewertung von Erfolgshonoraren bei der Vermittlung von Medizinstudienplätzen im Ausland. Im Zentrum steht eine Klausel des Anbieters StudiMed, wonach das Honorar bereits mit der Zusage eines Studienplatzes fällig wird – unabhängig davon, ob der Bewerber das Studium tatsächlich antritt. Der erste Zivilsenat des BGH in Karlsruhe hat angekündigt, ein Urteil am 5. Juni zu fällen.
Der Fall betrifft einen Bewerber mit einem Abiturschnitt von 3,0, der 2022 bei StudiMed einen Studienplatz an der Universität Mostar in Bosnien anfragte. Nachdem die Zusage vorlag, trat der Bewerber vom Vertrag zurück. StudiMed stellte dennoch ein Erfolgshonorar in Höhe von 11.200 Euro in Rechnung. Das Oberlandesgericht (OLG) München stufte diese Praxis als unangemessene Benachteiligung ein, da dem Kunden die freie Entscheidung über den Studienbeginn faktisch entzogen werde. Der Vermittler übertrage damit ein typisches Maklerrisiko auf den Auftraggeber – nämlich das Risiko, dass die vermittelte Leistung nicht zur gewünschten Vertragsbindung führt.
StudiMed verteidigt sein Modell mit Verweis auf das breite Dienstleistungsangebot. Die Firma begleite Bewerber durch alle Phasen der Vorbereitung, von der Erstellung der Unterlagen über naturwissenschaftliche Vorbereitungskurse bis hin zur Betreuung vor Ort. Der Geschäftsführer argumentiert, dass es sich damit um einen Dienstvertrag handle, bei dem die Vermittlung nur ein Teilaspekt sei.
Der Vorsitzende Richter am BGH, Professor Dr. Thomas Koch, betonte, dass bei der rechtlichen Einordnung eines Vertrags dessen Schwerpunkt maßgeblich sei. Enthält eine Vereinbarung Elemente mehrerer Vertragstypen, sei entscheidend, welche Leistung überwiege. Sollte der Senat zu dem Schluss kommen, dass es sich im Kern um einen Maklervertrag handelt, dürfte die Honorarklausel gegen geltendes Recht verstoßen und unwirksam sein.
Der Fall hat Signalwirkung. Mehrere tausend junge Menschen studieren jährlich im Ausland Medizin, viele aufgrund mangelnder Chancen auf einen Studienplatz in Deutschland. Die Branche der Studienplatzvermittler operiert bislang weitgehend ohne klare gesetzliche Vorgaben. Eine höchstrichterliche Entscheidung könnte künftig für mehr Rechtssicherheit sorgen – sowohl für Vermittlungsfirmen als auch für Studieninteressierte.
Was auf den ersten Blick wie ein individueller Streit um ein Honorar wirkt, berührt in Wahrheit ein strukturelles Problem eines grauen Marktes: Private Vermittlungsfirmen füllen eine Lücke im Bildungssystem, deren Entstehung politisch zu verantworten ist. Sie profitieren von der chronischen Unterversorgung mit Medizinstudienplätzen und agieren mit Geschäftsmodellen, die rechtlich zwischen den Stühlen sitzen.
Das BGH-Verfahren ist deshalb überfällig. Wer mehrere Tausend Euro für eine Dienstleistung zahlen soll, muss sich auf einen fairen und rechtssicheren Vertrag verlassen können. Das Argument, die Leistung beginne bereits bei der Beratung, verliert an Überzeugungskraft, wenn das volle Honorar auch dann verlangt wird, wenn kein Studium aufgenommen wird. Es ist ein grundlegendes Prinzip des Maklerrechts, dass nicht die bloße Möglichkeit zählt, sondern das Zustandekommen des vermittelten Vertrags.
Ein klares Urteil aus Karlsruhe wäre nicht nur eine Entscheidung über eine einzelne Klausel, sondern ein Weckruf an eine Branche, deren Geschäftsgebaren bislang nur selten auf dem juristischen Prüfstand stand. Auch für Studieninteressierte und ihre Familien wäre es ein wichtiges Signal: Bildung darf kein Spiel mit juristischen Fallstricken sein.
Digitale Verteidigung gegen Rezeptbetrug: Apotheker entwickelt LANR-Prüftool
Gefälschte Rezepte gehören längst zum Alltag in Apotheken. Besonders problematisch: Die Fälschungen werden immer professioneller, sind oft kaum noch vom Original zu unterscheiden – und verursachen nicht nur wirtschaftlichen Schaden, sondern gefährden die Arzneimittelsicherheit. Vor diesem Hintergrund hat der Berliner Apotheker Habib Chalhoub ein eigenes digitales Werkzeug entwickelt, das die Lebenslange Arztnummer (LANR) automatisiert überprüft und so hilft, gefälschte Verordnungen schneller zu entlarven.
Chalhoub, der selbst immer wieder mit Betrugsversuchen konfrontiert wurde, erkannte eine zentrale Schwachstelle: Die auf dem Rezept angegebene LANR lässt sich zwar in der Theorie gegen offizielle Datenbanken abgleichen – in der Praxis aber ist der Prozess für viele Apothekenteams zu aufwendig oder gar nicht umsetzbar. In der Hektik des Apothekenalltags bleibt kaum Zeit für manuelle Recherchen. „Das Risiko, ein gefälschtes Rezept zu beliefern, steigt, wenn Prüfprozesse lückenhaft sind“, erklärt Chalhoub.
Sein Tool greift auf öffentlich zugängliche Informationen aus dem Bundesarztregister zurück und erlaubt die schnelle Eingabe der LANR, woraufhin eine automatische Abfrage erfolgt. Innerhalb weniger Sekunden erhält das Apothekenteam eine Rückmeldung darüber, ob die Arztnummer tatsächlich existiert, zu welchem Arzt sie gehört und ob etwa Unstimmigkeiten auffallen.
Der Hintergrund ist ernst: In den vergangenen Monaten häufen sich Fälle, in denen gefälschte Rezepte gezielt auf hochpreisige Arzneimittel – etwa HIV-Therapeutika, Schmerzmittel oder Medikamente zur Substitutionstherapie – ausgestellt wurden. Besonders perfide: Die Täuschungen erfolgen oft durch täuschend echt wirkende Ausdrucke von E-Rezepten oder in Kombination mit gestohlenen LANR und Arztstempeln. Betroffen sind vor allem Apotheken im städtischen Raum, wo die Anonymität es Fälschern erleichtert, unerkannt zu agieren.
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen solcher Fälschungen sind erheblich. Wird ein Rezept beliefert, das sich später als ungültig herausstellt, bleibt die Apotheke auf den Kosten sitzen. Im schlimmsten Fall droht sogar ein Regress der Krankenkasse oder ein Ermittlungsverfahren. Daher sieht Chalhoub in seinem Tool vor allem einen Beitrag zur Risikominimierung – kein Allheilmittel, aber ein praktisches Instrument zur Erstprüfung.
Auch Standesvertreter sehen Handlungsbedarf. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hatte zuletzt eine verbesserte digitale Verifizierungsstruktur für E-Rezepte gefordert. Chalhoubs Ansatz zeigt nun, wie pragmatische Einzellösungen aus der Praxis heraus entstehen können – dort, wo der politische Fortschritt oft hinterherhinkt.
Für Chalhoub ist das Tool Ausdruck eines größeren Problems: „Solange es keine durchgängig sichere und manipulationsresistente Rezeptinfrastruktur gibt, sind wir Apotheken in der Pflicht, eigene Schutzmechanismen zu entwickeln.“ Seine Lösung stellt er interessierten Kollegen kostenlos zur Verfügung – ein Zeichen von kollegialer Solidarität, aber auch von Misstrauen in das bestehende System.
Die Fälschung von Rezepten ist längst keine Randerscheinung mehr, sondern ein systemisches Problem – und eines, das nicht nur Apotheken wirtschaftlich trifft, sondern die gesamte Sicherheitsarchitektur der Arzneimittelversorgung untergräbt. Dass ein einzelner Apotheker mit einem selbst entwickelten Tool einspringen muss, wo staatliche oder institutionelle Lösungen fehlen, ist einerseits bewundernswert, andererseits jedoch ein deutlicher Beleg für das strukturelle Versagen der digitalen Gesundheitsverwaltung.
Die Einführung des E-Rezepts hätte eine Chance sein können, endlich mehr Kontrolle und Transparenz zu schaffen. Doch was sich in der Praxis zeigt, ist ein Flickenteppich aus halbgaren Übergangslösungen, unsicheren Systemen und überlasteten Schnittstellen. Die Folge: Apothekenteams sind zunehmend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, potenziell kriminelle Machenschaften zu erkennen und zu stoppen.
Habib Chalhoubs Engagement ist beispielhaft – aber es darf nicht zur Blaupause werden. Nicht, weil die Idee schlecht wäre, sondern weil solche Entwicklungen nicht in Eigenregie einzelner Akteure geschehen sollten. Die Pflicht zur digitalen Absicherung der Rezeptprüfung liegt nicht bei den Apotheken, sondern bei den Institutionen, die das System entworfen haben. Die Politik muss endlich die digitalen Schwachstellen anerkennen, statt weiterhin auf analoge Kontrollmechanismen zu setzen, die in Zeiten hochpräziser Fälschungstechnologien keine Sicherheit mehr bieten.
Was wir brauchen, ist ein zentrales, aktuelles und für Apotheken niedrigschwellig nutzbares Register für Arztnummern – eingebettet in eine wirklich durchdachte E-Rezept-Infrastruktur. Alles andere ist ein Spiel mit dem Risiko. Chalhoub hat das getan, was viele nicht geschafft haben: Er hat gehandelt. Doch das darf nicht dazu führen, dass die Verantwortung für Arzneimittelsicherheit weiter stillschweigend auf die Apothekenteams abgewälzt wird.
E-Rezept und Formfehler: Apotheken sind von der inhaltlichen Prüfpflicht befreit
Berlin – Das E-Rezept sollte den Arzneimittelversorgungsalltag vereinfachen und typische Formfehler der Papierverordnung beseitigen. Die digitale Verordnung verspricht Klarheit, automatische Prüfprozesse und weniger Retaxationen. Doch auch im digitalen Zeitalter schleichen sich weiterhin Fehler ein – etwa bei der elektronischen Signatur, der Lebenslangen Arztnummer (LANR) oder der Betriebsstättennummer (BSNR). Die entscheidende Frage: Müssen Apotheken solche Fehler erkennen und eigenständig korrigieren? Die Antwort fällt deutlich aus. Eine Prüfpflicht für Apotheken besteht nicht. Das geht aus den aktualisierten FAQ zum E-Rezept sowie aus der Zusatzvereinbarung zum Rahmenvertrag hervor.
Vorgesehen ist, dass der sogenannte Fachdienst der Telematikinfrastruktur die formale Plausibilität eingehender Verordnungen automatisiert prüft. Das bedeutet, der Dienst kontrolliert, ob notwendige Datenfelder wie Anschrift, Arztnummer oder Betriebsstättennummer befüllt sind. Die Verantwortung für deren inhaltliche Richtigkeit liegt nicht bei der Apotheke. Vielmehr regelt § 2 der Zusatzvereinbarung ausdrücklich, dass die Vertragspartner – also Krankenkassen und Apothekerschaft – davon ausgehen, dass keine fehlerhaften Kombinationen übermittelt werden. Fehlerhafte Datensätze sollen über ein kurzfristiges Abstimmungsverfahren zwischen den Vertragspartnern geklärt werden, ohne dass daraus eine Prüfverpflichtung für Apotheken entsteht. Diese bleiben auch dann befreit, wenn es sich um Ausnahmesituationen handelt, in denen etwa bei Zahnarztrezepten keine klassische BSNR oder bei Klinikentlassungen andere Nummerierungen verwendet werden.
Der Vertrag stellt klar, dass Apotheken nur prüfen müssen, ob die jeweiligen Felder überhaupt ausgefüllt sind – nicht jedoch, ob die Inhalte stimmen. Das schützt Apotheken vor haftungsrechtlichen Konsequenzen, die aus ärztlichen oder technischen Fehlern entstehen könnten. Für den Apothekenalltag ist diese Regelung ein wichtiger Baustein zur Rechtssicherheit. Denn ohne Zugriff auf ärztliche Verordnungsstammdaten oder Abrechnungsnummern ist eine inhaltliche Überprüfung schlicht nicht möglich. Die Apotheken konzentrieren sich auf das, was ihnen obliegt: die sichere, ordnungsgemäße und pharmazeutisch korrekte Abgabe der verordneten Arzneimittel. Die Systemverantwortung für die formale Integrität der ärztlichen Daten bleibt dort, wo sie hingehört – im Verantwortungsbereich der verordnenden Stellen und der Telematikinfrastruktur.
Die Befreiung der Apotheken von der inhaltlichen Prüfpflicht bei E-Rezepten ist keine Erleichterung, sie ist eine Notwendigkeit. Es wäre absurd, Apotheken für Formfehler haftbar zu machen, die sie weder verursacht haben noch technisch prüfen können. Wer sich auf digitale Prozesse verlässt, muss auch bereit sein, Verantwortung systematisch zu verorten – und das bedeutet: dort, wo die Daten entstehen. Das E-Rezept lebt vom Vertrauen in automatisierte Prüfmechanismen und von der klaren Trennung der Aufgaben. Ärztliche Verordnungen unterliegen einer eigenen technischen Logik, die außerhalb des Einflussbereichs der Apotheke liegt. Dort darf die Verantwortung auch bleiben.
Was wie eine Formalität wirkt, hat praktische Auswirkungen. In einem System, das unter ständigem Zeitdruck steht, bedeutet jede Unsicherheit bei der Abgabe ein Risiko. Wenn Apotheken mit unklaren oder unvollständigen Daten konfrontiert werden, drohen Retaxationen, Versorgungsverzögerungen oder haftungsrechtliche Probleme. Die nun festgeschriebene Befreiung von der Prüfpflicht schützt nicht nur die Apotheken, sie schützt die Versorgungsqualität insgesamt. Sie verhindert, dass pharmazeutisches Personal Zeit aufwenden muss, um Fehler in einem System zu korrigieren, das ihnen keinerlei Zugriff auf die Quellen dieser Fehler bietet.
Dass trotzdem immer wieder Ausnahmesituationen auftreten, etwa bei Klinikentlassungen oder Zahnarztrezepten, zeigt, wie fragil der Anspruch an ein durchgehend fehlerfreies System derzeit noch ist. Aber statt an der Apotheke zu rütteln, sollte man besser an der Systemarchitektur arbeiten. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen darf nicht zu einer Kette von Verantwortungsdiffusion werden, bei der am Ende immer derjenige haftet, der zuletzt die Hand über das Rezept hält.
Die Entlastung der Apotheken ist daher nicht nur gerecht, sondern systemlogisch zwingend. Wer eine sichere, effiziente und digitale Arzneimittelversorgung will, muss auch bereit sein, technische und ärztliche Fehler systemseitig zu korrigieren – und nicht stillschweigend auf die Apotheken zu übertragen. Verantwortung muss am Ort ihrer Entstehung übernommen werden – und nicht an dem Punkt, an dem sie am wenigsten auffällt.
Telemedizin in der Box: Zwischen Versorgungsidee und Systemrisiko
Während die Politik inmitten eines strukturellen Ärztemangels und wachsender Versorgungslücken nach innovativen Lösungen sucht, erlebt die Telemedizin eine Renaissance – nicht nur digital, sondern zunehmend physisch greifbar. In Deutschland werden derzeit Pilotprojekte diskutiert, bei denen sogenannte Video-Arztkabinen in Form umgebauter Telefonzellen zum Einsatz kommen sollen. Die Idee: Patientinnen und Patienten können sich darin per Bildschirm mit einer Ärztin oder einem Arzt verbinden – unterstützt von medizinischem Assistenzpersonal wie pharmazeutisch-technischen Assistentinnen (PTA) oder medizinischen Fachangestellten (MFA). Was nach Zukunft klingt, wirft ernste Fragen zur Versorgungslogik, zur Rolle der Apotheken und zur Systemkohärenz auf.
Hinter dem Konzept steht die Absicht, in ländlichen Regionen ohne Hausarztpraxen einen niedrigschwelligen Zugang zur medizinischen Erstversorgung zu schaffen. Tatsächlich fehlen insbesondere in strukturschwachen Regionen ärztliche Ressourcen, während gleichzeitig Apotheken, Gesundheitsämter und Pflegeeinrichtungen flächendeckend präsent sind – vielerorts bereits mit telemedizinischer Infrastruktur, etwa für pharmazeutische Dienstleistungen oder Medikationsanalysen. Die Entscheidung, neue Hightech-Boxen aufzustellen, statt bestehende Gesundheitsakteure besser zu vernetzen, lässt daher Zweifel an der strategischen Zielgenauigkeit der Maßnahme aufkommen.
Apotheken könnten in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielen. Sie verfügen nicht nur über die räumliche Infrastruktur, sondern auch über das qualifizierte Personal, um als Hybridstandorte für Telemedizinangebote zu dienen – ohne zusätzliche Gebäude, ohne neue Betreiberstrukturen, ohne Versorgungsschatten. Auch ließe sich der Beratungsanspruch erhalten, den Apotheken im Gegensatz zu Plattformmodellen mitbringen.
Doch genau diese Aspekte geraten durch die Telemedizin-Kabinen ins Wanken. Wenn die medizinische Konsultation zunehmend außerhalb der klassischen Arztpraxis stattfindet, droht eine Entkopplung ärztlicher und pharmazeutischer Versorgung. Die Schnittstellen zwischen Diagnose und Arzneimittelabgabe verlieren an Unmittelbarkeit, was nicht nur die Arzneimittelsicherheit gefährdet, sondern langfristig auch den ökonomischen Druck auf wohnortnahe Apotheken erhöht. Denn wenn der Arztbesuch in der Kabine stattfindet und das Rezept elektronisch übermittelt wird, ist der Weg zur Versandapotheke nur einen Klick entfernt.
Für Apothekenbetreiber stellt sich daher die Frage nach der strategischen Positionierung. Sie müssen sich mit den Implikationen solcher Systeme befassen – organisatorisch, wirtschaftlich und rechtlich. Wer Telemedizin als Chance begreift, kann sich als regionaler Knotenpunkt im digitalen Versorgungsnetz profilieren. Voraussetzung dafür ist jedoch die aktive Beteiligung an der Gestaltung von Telemedizinstrukturen – sei es über Kooperationsmodelle mit lokalen Ärzten oder durch Investitionen in eigene telepharmazeutische Dienste. Gleichzeitig ist die politische Interessenvertretung gefragt: Ohne regulatorischen Rahmen, der den Wert persönlicher Beratung und pharmazeutischer Verantwortung schützt, droht der schleichende Rückzug aus der Fläche.
Während also Telemedizin-Kabinen auf dem Reißbrett entstehen, stellt sich die grundlegendere Frage: Wollen wir ein System, in dem Gesundheitsversorgung auf Automatenlogik reduziert wird? Oder erkennen wir die Chance, Digitalisierung als integrativen Prozess zu verstehen – nicht als Verdrängung, sondern als Vernetzung bewährter Strukturen?
Die Idee, mit 1000 Video-Arztkabinen die Versorgungslücken im Land zu schließen, klingt vordergründig charmant: wenig Bürokratie, schnelle Termine, digitale Nähe. Doch hinter der Hightech-Fassade verbirgt sich ein gefährliches Missverständnis über die Funktionsweise des Gesundheitswesens: Versorgung ist keine Infrastrukturfrage, sondern eine Frage der Beziehungen – zwischen Patient, Arzt und Apotheker.
Es braucht keine neuen Boxen, sondern ein neues Denken. Warum nicht die Apotheken, die ohnehin vor Ort sind, in das telemedizinische Versorgungskonzept einbinden? Warum nicht den persönlichen Kontakt mit digitaler Effizienz kombinieren, statt ihn zu ersetzen? Der blinde Technikglaube droht hier, die menschliche Dimension der Gesundheitsversorgung zu untergraben.
Hinzu kommt: Wer Telemedizin ausschließlich über digitale Schnittstellen organisiert, öffnet das Tor für eine vollständige Entkoppelung ärztlicher und pharmazeutischer Leistungen – mit massiven Folgen für die Arzneimittelsicherheit, die Versorgungskontinuität und die wirtschaftliche Existenz vieler Apotheken. Die Politik muss sich entscheiden: Will sie flächendeckende Versorgung durch lokale Gesundheitsakteure – oder ein System, das in die Hände weniger Plattformanbieter gerät?
Apothekenbetreiber stehen am Scheideweg. Sie können diese Entwicklung gestalten, müssen aber auch ihre Stimme erheben. Wer jetzt schweigt, riskiert, in der nächsten Versorgungsreform nur noch als logistischer Erfüllungsgehilfe einer digitalen Plattform wahrgenommen zu werden. Telemedizin darf kein Einfallstor für die Aushöhlung der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur werden.
Die Zukunft liegt nicht in der Box, sondern im intelligenten Netzwerk. Wer wirklich out-of-the-box denkt, fragt nicht nur nach neuen Technologien, sondern nach besseren Strukturen.
Digitale Hürde im Gesundheitswesen: Rheinland-Pfalz setzt auf ePA-Coaches für Senioren
Mit der flächendeckenden Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) will der Gesetzgeber die medizinische Versorgung transparenter, koordinierter und effizienter gestalten. Doch während die digitale Akte technisch zunehmend Realität wird, droht eine zentrale Nutzergruppe abgehängt zu werden: ältere Menschen. In Rheinland-Pfalz reagiert die Landesregierung nun auf diese Herausforderung und startet ein landesweites Unterstützungsprogramm. Speziell geschulte ePA-Coaches sollen Seniorinnen und Senioren künftig ehrenamtlich bei der Einrichtung und Nutzung der ePA begleiten.
Ziel der Maßnahme ist es, die digitale Teilhabe älterer Menschen im Gesundheitswesen zu stärken. Denn obwohl die ePA über eine App der jeweiligen Krankenkasse gesteuert wird, fehlen vielen Älteren die nötigen Kenntnisse und das Vertrauen in die Technologie. Die ePA-Coaches sollen helfen, diese Hemmschwelle zu überwinden. Ihre Aufgaben reichen von der technischen Hilfestellung bei der Installation der App über die Erklärung zentraler Funktionen bis hin zur Unterstützung im alltäglichen Umgang mit der digitalen Patientenakte.
Getragen wird das Projekt von der Medienanstalt Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem Sozial- und dem Gesundheitsministerium. Die Coaches bauen auf dem bereits etablierten Konzept der Digital-Botschafter auf, die älteren Menschen seit Jahren bei Fragen der digitalen Grundversorgung zur Seite stehen. Rund 100 dieser Botschafter haben sich laut Landesregierung bereits zur Weiterbildung zu ePA-Coaches angemeldet.
Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und wird mit Landesmitteln in Höhe von 250.000 Euro gefördert. Es ist in zwei Phasen strukturiert: Zunächst sollen Informationsveranstaltungen zur Funktionsweise und zum Nutzen der ePA sensibilisieren und aufklären. In der zweiten Phase folgt die gezielte Qualifizierung der Coaches. Die medizinische Beratung bleibt dabei ausdrücklich dem ärztlichen Fachpersonal vorbehalten.
Die ePA speichert gesundheitsbezogene Informationen wie Arztbriefe, Befunde, Medikationspläne und Laborwerte. Versicherte können über die App selbst festlegen, welche medizinischen Einrichtungen Zugriff erhalten – und diesen auch jederzeit widerrufen. Dokumente können zudem eigenständig hochgeladen werden. Seit Mitte Januar wurde für rund 70 Millionen gesetzlich Versicherte in Deutschland automatisch eine ePA erstellt. Ab Oktober wird die Nutzung der ePA für Arztpraxen und Kliniken verpflichtend, für Patientinnen und Patienten bleibt sie freiwillig.
In der privaten Krankenversicherung verläuft die Einführung schrittweise. Erste Anbieter haben bereits ePAs eingerichtet, eine flächendeckende Versorgung soll bis Ende 2025 erreicht sein. Währenddessen wird die digitale Anwendung in drei Modellregionen – Hamburg, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens – im Praxisalltag getestet.
Die Hoffnung auf einen medizinischen Mehrwert ist groß: Die ePA könnte helfen, Doppeluntersuchungen zu vermeiden, Wechselwirkungen von Medikamenten frühzeitig zu erkennen und medizinische Informationen schneller verfügbar zu machen. Entscheidend wird jedoch sein, ob es gelingt, alle Versicherten in die digitale Versorgung mitzunehmen – insbesondere jene, die beim Tempo der Digitalisierung nicht von selbst Schritt halten können.
Die Idee ist richtig, die Umsetzung überfällig. Mit der Einführung der ePA ist ein modernes Instrument geschaffen worden, das medizinische Versorgung vernetzen und effizienter gestalten soll. Doch Digitalisierung funktioniert nicht im luftleeren Raum. Wer glaubt, mit der bloßen Bereitstellung einer App sei Teilhabe garantiert, unterschätzt die Realität älterer Menschen. Fehlendes technisches Verständnis, Berührungsängste und Unsicherheit beim Datenschutz sind reale Barrieren.
Die ePA-Coaches in Rheinland-Pfalz setzen an der richtigen Stelle an: Sie bieten praktische Hilfe ohne kommerziellen Druck, auf Augenhöhe und im direkten Kontakt. Genau das braucht es, wenn digitale Infrastrukturen mehr sein sollen als reine Verwaltungsakte. Die Landesregierung hat erkannt, dass digitale Gesundheitskompetenz nicht angeordnet, sondern vermittelt werden muss.
Dennoch bleibt Skepsis angebracht. Mit 100 Freiwilligen wird man einem strukturellen Problem nicht dauerhaft begegnen können. Digitale Teilhabe darf nicht zur Frage des Zufalls oder ehrenamtlichen Engagements werden. Es braucht langfristig eine verlässliche Struktur, die digitale Unterstützung im Gesundheitswesen zur Regel macht – nicht zur Ausnahme.
Scopoderm vor Rückkehr: Reisekrankheits-Pflaster ab Mai wohl wieder erhältlich
Nach monatelanger Nichtverfügbarkeit soll das transdermale Pflaster Scopoderm mit dem Wirkstoff Scopolamin Anfang Mai 2025 wieder auf dem deutschen Markt verfügbar sein. Der Hersteller hat bereits Einheiten zur Auslieferung bereitgestellt, wartet jedoch noch auf die endgültige Freigabe durch die zuständige europäische Arzneimittelbehörde. Als wahrscheinlichster Termin für die Rückkehr in den öffentlichen Vertrieb wird aktuell der 5. Mai genannt.
Scopoderm gilt aufgrund seiner speziellen Darreichungsform als kaum ersetzbar. Das Pflaster wird zur Prophylaxe von Reiseübelkeit eingesetzt und gibt den Wirkstoff über 72 Stunden kontinuierlich über die Haut ab. Die Anwendung erfolgt hinter dem Ohr, wobei die Wirkung nach fünf bis sechs Stunden einsetzt. Seit Mai 2023 war das Arzneimittel wegen Lieferengpässen nur noch stark eingeschränkt verfügbar – ein Zustand, der insbesondere für chronisch betroffene Reisende mit hoher Belastung verbunden war.
Das zugrunde liegende Pharmakon Scopolamin zählt zur Gruppe der Parasympatholytika. Es wirkt im zentralen Nervensystem als kompetitiver Antagonist an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren. Die Hemmung dieser Rezeptoren unterdrückt die für die Kinetose typischen Reize im Brechzentrum und vestibulären System. Die zentrale Wirkung des Arzneimittels erklärt auch dessen Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Sehstörungen, Schwindel und in Einzelfällen auch Halluzinationen sind dokumentiert. Bei Augenkontakt kann es zu einseitiger Pupillenerweiterung kommen – ein Risiko, das in der Anwendungspraxis nicht unterschätzt werden sollte.
Alternative Medikamente wie Dimenhydrinat oder Promethazin stehen zwar zur Verfügung, bieten jedoch keine transdermale Applikation. Ihre Wirkstoffverabreichung erfolgt oral, rektal oder parenteral – ein Nachteil für Patientinnen und Patienten mit gastrointestinaler Sensibilität oder längerem Reiseverlauf. Der Rückgriff auf diese Alternativen in den vergangenen Monaten wurde vielfach als unzureichend kritisiert.
Die anstehende Wiederverfügbarkeit von Scopoderm wirft erneut ein Schlaglicht auf die Fragilität internationaler Lieferketten für bewährte Arzneimittel. Ob das Pflaster ab Mai in ausreichender Menge bereitsteht, bleibt unklar. Apotheken und betroffene Patientinnen und Patienten müssen sich daher weiterhin auf eine nur schrittweise Normalisierung der Versorgung einstellen.
Die Rückkehr von Scopoderm auf den Markt ist mehr als eine bloße Liefersache. Sie steht exemplarisch für ein strukturelles Problem: Selbst etablierte Medikamente mit langjähriger Anwendungserfahrung sind nicht vor Versorgungsengpässen geschützt. Dass ein so spezifisches Produkt wie Scopoderm über ein Jahr lang nur kontingentiert verfügbar war, zeigt, wie abhängig das Versorgungssystem von wenigen Herstellern und regulatorischen Prozessen ist.
Besonders kritisch ist dabei die fehlende gleichwertige therapeutische Alternative in derselben Darreichungsform. Wer auf das Pflaster angewiesen ist, konnte in den vergangenen Monaten kaum ausweichen. Das unterstreicht, wie wichtig es wäre, sowohl auf politischer als auch auf industriepolitischer Ebene über verlässliche Produktions- und Lieferstrukturen nachzudenken – gerade bei Arzneimitteln, die in ihrer Formulierung einzigartig sind.
Die Ankündigung einer Rückkehr zum 5. Mai gibt Anlass zur Hoffnung. Doch solange eine einzige regulatorische Verzögerung ausreicht, um Patientenversorgung massiv zu beeinträchtigen, bleibt die Rückkehr von Scopoderm ein Symptom – nicht die Lösung.
Influencerin empfiehlt verschreibungspflichtiges Medikament – Verstoß gegen Werberecht?
Die Fitness-Influencerin Sophia Thiel hat mit einer Story auf der Plattform Instagram eine Debatte über die Grenzen der Medikamentenwerbung ausgelöst. In dem Beitrag präsentiert Thiel das rezeptpflichtige Antihistaminikum Aerius mit dem Wirkstoff Desloratadin als ihre persönliche Lösung gegen Heuschnupfen – und empfiehlt das Medikament ausdrücklich weiter. Während sie mehrfach betont, dass es sich nicht um Werbung handle, dokumentieren ihre Aussagen eine klare Präferenz für das Produkt und eine Weitergabe ihrer positiven Erfahrung an zahlreiche Menschen aus ihrem Umfeld.
Mit über 1,3 Millionen Followern zählt Thiel zu den reichweitenstärksten Persönlichkeiten im deutschsprachigen Fitnesssegment. Ihre Äußerungen über Aerius erfolgten in einer emotional aufgeladenen Darstellung ihrer Symptome, unter anderem nächtlicher verstopfter Nase und früheren Erfahrungen mit frei verkäuflichen Mitteln wie Cetirizin und Lorano. Diese hätten ihr nicht geholfen, bis ihr „durch Zufall“ Aerius empfohlen worden sei – ein Medikament, das sie inzwischen regelmäßig nutze und anderen ans Herz lege. Zwar weist Thiel auf die Verschreibungspflicht hin und fordert zur ärztlichen Rücksprache auf, doch ändert dieser Hinweis nichts an der rechtlichen Bewertung.
Nach § 10 Absatz 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) ist es untersagt, für verschreibungspflichtige Arzneimittel gegenüber der Öffentlichkeit zu werben. Die Regelung soll verhindern, dass durch Publikumswerbung eine verzerrte Nachfrage entsteht und medizinische Entscheidungen durch Werbeimpulse beeinflusst werden. Der Begriff „Werbung“ wird dabei weit gefasst und umfasst auch scheinbar private Empfehlungen, wenn sie geeignet sind, das Marktverhalten zu beeinflussen.
In Apotheken und bei Juristen sorgt die Instagram-Story für Unverständnis. Während einige Apothekenteams die Darstellung als unzulässig einstufen und von einem gefährlichen Signal an junge Menschen sprechen, sehen andere in Thiels Aussagen lediglich eine persönliche Meinung. Die rechtliche Bewertung orientiert sich jedoch nicht am subjektiven Empfinden der Urheberin, sondern an der objektiven Wirkung ihrer Aussagen. Der hohe Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf die Gesundheitsentscheidungen junger Zielgruppen ist seit Langem bekannt und Gegenstand anhaltender Diskussionen im Bereich der digitalen Gesundheitskommunikation.
Die zuständigen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu dem Fall. Ob es sich tatsächlich um einen Verstoß gegen das HWG handelt, wird nun voraussichtlich zu prüfen sein. Der Fall zeigt erneut, wie schmal der Grat zwischen Erfahrungsbericht und unerlaubter Arzneimittelwerbung ist – insbesondere, wenn persönliche Geschichten mit konkreten Produktnennungen in den sozialen Medien kombiniert werden.
Es reicht nicht, ein Produkt in die Kamera zu halten und im gleichen Atemzug zu behaupten, es handle sich nicht um Werbung. Wer als öffentliche Figur mit erheblicher Reichweite ein rezeptpflichtiges Medikament positiv hervorhebt, handelt nicht im rechtsfreien Raum. Die Vorstellung, persönliche Erfahrung sei gleichbedeutend mit Unverbindlichkeit, ist trügerisch – vor allem dann, wenn sie mit konkreten Präparateempfehlungen einhergeht.
Das Heilmittelwerbegesetz wurde nicht zum Selbstzweck geschaffen, sondern dient dem Schutz vor unreflektierter Medikamentennutzung. Gerade in Zeiten digitaler Schnellkommunikation ist dieser Schutz wichtiger denn je. Wenn Meinung zu Einfluss wird, trägt auch die Meinung Verantwortung. Influencerinnen und Influencer sollten sich dieser Rolle bewusst sein – und Behörden dürfen dabei nicht länger tatenlos zusehen.
NRF-Rezeptur für schmerzlindernde Mundspüllösung überarbeitet: Neue Herstellungsweise verbessert Verarbeitungsqualität
Die Rezepturvorschrift NRF 7.14 für eine schmerzlindernde Mundspüllösung mit Hydrocortisonacetat, Lidocainhydrochlorid und Dexpanthenol wurde aktualisiert. Die Änderung betrifft insbesondere die Herstellung des wässrigen Teilansatzes und zielt auf eine praxisgerechtere Umsetzung in der Rezepturherstellung ab. Die bewährte Kombination kommt bevorzugt bei schmerzhaften Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenbereich zum Einsatz, etwa bei onkologischen Therapien.
Der Herstellungsprozess bleibt grundsätzlich in zwei Teilansätze gegliedert. Im lipophilen Ansatz wird Hydrocortisonacetat unter Erwärmung in Propylenglycol gelöst. Die Neuerung betrifft den zweiten Teilansatz: Die Bestandteile Lidocainhydrochlorid-Monohydrat, Macrogol-40-glycerolhydroxystearat, Dexpanthenol und Pfefferminzöl werden nunmehr überwiegend in der Fantaschale verarbeitet. Bislang erfolgte dieser Schritt im Becherglas. Hintergrund der Umstellung ist die effektivere Verreibung des ätherischen Pfefferminzöls mit dem Lösungsvermittler sowie die vereinfachte Einarbeitung des viskosen Dexpanthenols, insbesondere wenn keine flüssige Stammlösung zur Verfügung steht.
Nach dem Zusammenfügen der beiden Teilansätze erfolgt die Auffüllung auf die Endmasse mit gereinigtem Wasser. Eine abschließende pH-Korrektur kann erforderlich sein. Der Einsatz von Natriummonohydrogenphosphat-Dodecahydrat ist laut aktuellen Erkenntnissen jedoch nur dann nötig, wenn die Dexpanthenol-Stammlösung 50 Prozent verwendet wurde. Wird stattdessen ein propylenglycolisches Konzentrat oder die Reinsubstanz eingesetzt, ist der pH-Wert aufgrund der basischen Reaktion des Dexpanthenols meist bereits ausreichend angepasst.
Das fertige Präparat wird in einer Glasflasche abgefüllt, ist vor Gebrauch zu schütteln und weist eine Aufbrauchfrist von sechs Monaten bei einer Gesamtlaufzeit von einem Jahr auf. Die aktualisierte Vorschrift berücksichtigt somit sowohl praktische Belange bei der Herstellung als auch die Stabilität und Wirksamkeit des Produkts.
Die stille, aber relevante Aktualisierung der NRF-Vorschrift 7.14 ist ein Beispiel dafür, wie auch kleine Änderungen in der Rezepturpraxis einen bedeutenden Einfluss auf die Herstellungsqualität und den Arbeitsalltag in Apotheken haben können. Der Wechsel zur Fantaschale folgt einem funktionalen Gedanken und verdeutlicht den Stellenwert der galenischen Feinabstimmung im pharmazeutischen Alltag.
Grippesaison 2024/25 endet mit hoher Krankheitslast und auffälliger Virusverteilung
Nach 16 Wochen hat das Robert Koch-Institut das Ende der Grippewelle für die Saison 2024/25 festgestellt. Die Welle begann in der 51. Kalenderwoche 2024 und endete mit der 14. Kalenderwoche 2025. Grundlage für diese Einschätzung ist die Entwicklung der Influenza-Positivenrate, bei der zwei Wochen in Folge der untere Wert des 95-Prozent-Konfidenzintervalls unter zehn Prozent liegen muss. Dieser Schwellenwert wurde nun unterschritten.
Seit Beginn der Grippesaison im Oktober wurden deutschlandweit 389.403 laborbestätigte Influenzafälle gemeldet. Das entspricht einer deutlichen Zunahme im Vergleich zur Vorsaison, in der zum gleichen Zeitpunkt rund 209.000 Infektionen registriert worden waren. Die Krankheitslast war in dieser Saison erheblich: 68.021 Patientinnen und Patienten mussten im Krankenhaus behandelt werden, was einem Anteil von 17 Prozent entspricht. Insgesamt 1.754 Menschen verstarben infolge einer Influenza-Infektion. Neun von zehn Todesopfern waren über 60 Jahre alt.
Besonders auffällig war die gleichmäßige Verbreitung zweier Viruslinien. Während zu Beginn der Saison Influenza A(H1N1) dominierte, nahm ab der sechsten Kalenderwoche die Zahl der Nachweise von Influenza B spürbar zu. Am Ende lagen beide Subtypen nahezu gleichauf. Der Anteil von Influenza A(H3N2) blieb hingegen gering.
Erste Auswertungen zur Impfeffektivität ergaben eine Schutzwirkung von 40 bis 53 Prozent im ambulanten Bereich, abhängig vom Virus und der Altersgruppe. Bei stationären Patientinnen und Patienten lagen die Werte zwischen 34 und 52 Prozent. Besonders bei Menschen ab 65 Jahren war der Impfschutz deutlich eingeschränkt.
Die Saison 2024/25 zeigt damit ein komplexes Bild mit hoher Fallzahl, einer auffälligen Verteilung der Virustypen und einer nur begrenzt wirksamen Impfung. Die Daten belegen die anhaltende gesundheitliche Relevanz der Influenza, insbesondere für ältere und vorerkrankte Menschen.
Die aktuelle Grippesaison verdeutlicht einmal mehr, dass Influenza nicht zu den erledigten Problemen der Gesundheitsversorgung gehört. Trotz jahrelanger Erfahrung und verfügbarer Impfstoffe bleibt die Welle jedes Jahr ein Risikofaktor für das öffentliche Gesundheitswesen. Die hohe Zahl an Todesfällen, die Belastung der Kliniken und die mäßige Schutzwirkung der Impfung – gerade bei älteren Menschen – sprechen für sich. Wenn das Ziel ein wirksamer Schutz der Bevölkerung ist, braucht es mehr als Impfstoffdosen und Kampagnenplakate. Gefragt sind belastbare Versorgungsstrukturen, zielgruppenspezifische Prävention und eine realistische Einschätzung der jährlichen Bedrohungslage durch Influenza.
Fluorid unter Beschuss: Debatte um Gesundheitsrisiken entflammt nach Tweet von US-Minister
Ein Tweet des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. vom November 2024 sorgt für weltweites Aufsehen. Darin kündigt Kennedy an, der damalige Präsident Donald Trump wolle Fluorid aus der öffentlichen Wasserversorgung der USA entfernen lassen. Die Begründung: Der Stoff sei mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche, Osteosarkome – eine seltene Form von Knochenkrebs – sowie einem verminderten Intelligenzquotienten bei Kindern assoziiert. Was für viele wie eine späte Einsicht klingt, ist in Wahrheit ein Echo jahrzehntealter Kontroversen. Doch was sagt die wissenschaftliche Evidenz tatsächlich?
Fluorid wird seit den 1940er-Jahren in vielen Ländern dem Trinkwasser zugesetzt, um die Zahngesundheit der Bevölkerung zu fördern. Die Maßnahme gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahlreichen nationalen Gesundheitsbehörden als eine der wirksamsten und kostengünstigsten Methoden zur Kariesprävention. Kritiker verweisen jedoch seit Langem auf mögliche gesundheitliche Risiken bei überhöhter Aufnahme – etwa durch zusätzlich fluoridiertes Salz, Zahnpasten oder Nahrungsergänzungsmittel.
Zahlreiche Studien belegen, dass eine moderate Fluoridierung keine signifikanten negativen Effekte auf die allgemeine Gesundheit hat. Allerdings gibt es Hinweise aus Tierversuchen und Beobachtungsstudien, die auf potenzielle neurotoxische Effekte bei überhöhter Zufuhr in der frühen Kindheit hindeuten. So wurde etwa in einer vielbeachteten Metaanalyse der Harvard University aus dem Jahr 2012 ein Zusammenhang zwischen hoher Fluoridkonzentration im Trinkwasser und leicht verminderten IQ-Werten bei Kindern in China festgestellt. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf westliche Länder mit kontrollierter Trinkwasserfluoridierung ist jedoch stark umstritten.
Auch die Frage eines erhöhten Osteosarkomrisikos durch Fluorid wurde in mehreren Studien untersucht. Eine US-amerikanische Untersuchung aus den 1990er-Jahren deutete auf einen möglichen Zusammenhang bei männlichen Jugendlichen hin, konnte aber in nachfolgenden Studien nicht bestätigt werden. Die US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) hält die Fluoridierung des Trinkwassers weiterhin für sicher und empfiehlt sie ausdrücklich.
Die Ankündigung von Kennedy fällt somit weniger durch wissenschaftliche Substanz als durch politische Symbolik auf. Der Einsatz gegen Fluorid ist seit Jahren ein populäres Narrativ unter Impfgegnern, Anhängern alternativer Heilmethoden und Verschwörungstheoretikern. Dass der US-Gesundheitsminister selbst diese Linie vertritt, markiert einen drastischen Bruch mit dem gesundheitspolitischen Konsens vergangener Jahrzehnte.
Die Debatte um Fluorid ist ein Lehrstück für den Umgang mit Unsicherheit in der Wissenschaft – und für ihre politische Instrumentalisierung. Die Frage ist nicht, ob ein Stoff in hohen Dosen schaden kann – das kann fast jeder –, sondern ob er in der realen Anwendung ein vertretbares Risiko darstellt. Wenn führende Politiker ohne sorgfältige Abwägung der Evidenz Angst schüren, untergraben sie das Vertrauen in wissenschaftsbasierte Gesundheitspolitik. Wer das Trinkwasser zum ideologischen Schlachtfeld macht, gefährdet am Ende nicht nur die Zahngesundheit, sondern auch die Integrität des öffentlichen Diskurses.
Stiftung Warentest prüft Mückenschutz: Nur drei Kombiprodukte überzeugen
Stiftung Warentest hat zehn Kombiprodukte getestet, die zugleich gegen Mücken und Zecken schützen sollen. Zudem wurden sogenannte Insektenstichheiler untersucht, die nach einem Stich Linderung versprechen. Die Ergebnisse zeigen: Zwar fällt keines der getesteten Repellenzien durch, doch nur drei erreichen das Qualitätsurteil „gut“. Die übrigen sieben Produkte schneiden mit „befriedigend“ oder „ausreichend“ ab.
Getestet wurde unter kontrollierten Bedingungen im Labor sowie unter Einbeziehung von Praxisdaten, etwa zur Schutzdauer, Anwendung, Hautverträglichkeit und Wirksamkeit gegen verschiedene Insektenarten. Dabei zeigte sich, dass einige Mittel vor allem in Bezug auf Zeckenschutz Schwächen aufwiesen. Besonders kritisch bewerteten die Tester Kombiprodukte mit niedrigem Wirkstoffgehalt oder mit fragwürdiger Dosierungsempfehlung.
Ein Teil der getesteten Präparate ist ausschließlich in Apotheken erhältlich, andere Produkte sind auch im Drogeriemarkt oder online verfügbar. Die Preisspanne war entsprechend breit, sagt jedoch wenig über die tatsächliche Schutzwirkung aus. In der Regel konnten Produkte mit dem Wirkstoff DEET oder Icaridin bessere Ergebnisse erzielen, wobei insbesondere der Schutz gegen Zecken mit Icaridin zuverlässiger war.
Die getesteten Insektenstichheiler, die mit punktueller Wärmeeinwirkung das Jucken lindern sollen, schnitten durchweg solide ab. Zwar fehlt es vielen Produkten an wissenschaftlich fundierter Studienlage, jedoch berichteten die Tester von subjektiv spürbarer Linderung, wenn die Geräte unmittelbar nach dem Stich angewendet wurden.
Der ausführliche Test erscheint in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift test und ist auch online abrufbar. Stiftung Warentest betont, dass insbesondere Menschen mit Allergien oder Kinder auf geprüfte Mittel zurückgreifen sollten. Ein Blick auf die Inhaltsstoffe und Anwendungshinweise sei daher unerlässlich.
Gerade in Zeiten steigender Temperaturen und wachsender Reisetätigkeit wird zuverlässiger Insektenschutz zur Gesundheitsfrage. Dass nur drei von zehn getesteten Kombiprodukten ein gutes Urteil erhalten, wirft Fragen zur Wirksamkeit vieler frei verkäuflicher Mittel auf. Wer sich schützen will, sollte nicht nur auf Werbeversprechen vertrauen, sondern fundierte Tests zur Grundlage seiner Entscheidung machen.
Von Engin Günder, Fachjournalist