Stärke

Auch Schwächen sind Stärken – Pressearbeit mit unkonventionellen Ansätzen

Seit einigen Monaten strahlt das Werbefernsehen den Spot eines großen deutschen Waschmittelherstellers aus. Beworben wird darin ein in wasserlöslichen Portionsbeuteln verpacktes Flüssigwaschmittel. Dies geschieht jedoch auf andere Weise, als wir es von klassischer Fernsehwerbung gewohnt sind. Das Produkt wird nicht im eigentlichen Sinne beworben. Zwar wird es gezeigt, es werden jedoch nicht seine nützlichen Eigenschaften herausgestellt oder seine Anwendung demonstriert, sondern vielmehr die mit seiner Nutzung verbundene Risiken thematisiert. Im Zentrum steht dabei die Gefahr, die von diesem und anderen Haushaltsartikeln für kleine Kinder ausgehen. Entsprechend zeigt der Spot in einer Szene zum Beispiel neben dem eigenen Produkt auch Medikamente, die in Reichweite eines Kleinkindes liegen. Der kurze Film weist durch Sprachkommentar auf die Gefahren für Kinder hin und rät, das eigene Produkt außerhalb der Reichweite von Kindern aufzubewahren. Gezeigt wird hierbei die stabile, verschließbare Verpackung, die in erhöhter Position gelagert wird. Abschließend wird der Spot als „Sicherheitshinweis“ des Herstellers bezeichnet.

Ein Sicherheitshinweis? Also keine Werbung? Doch natürlich. Klar handelt es sich hierbei um Werbung, allerdings um solche, die in anderem Gewand auftritt.

Hinter dem Spot steckt eine komplette Kampagne, die geschickt Werbung mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verbindet.

Der Hersteller kooperiert hierbei mit der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ e. V., einem aus einer Initiative des Bundesgesundheitsministeriums hervorgegangenen Dachverband für die Verhütung von Kinderunfällen.

In verschiedenen Aktionen weisen beide auf die Gefahren hin, die auch durch unsachgemäße Lagerung von besagten Waschmittelbehältern für Kinder entstehen können und geben konkrete Hinweise, zu deren Vermeidung.

Wer hier alleine vorausschauendes Verantwortungsgefühl erkennt, kommt dem Hersteller sehr entgegen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Kampagne vermutlich weniger Aktion als Reaktion ist.

Die besagten Waschmittelkapseln werden auch medial bereits seit ihrer Markteinführung vor wenigen Jahren immer wieder kritisch kommentiert. Nicht nur die extremen Phänomene wie die über Videoplattformen aus Amerika bekanntgewordene „Tide Pod Challenge“, bei der Jugendliche Waschmittelkapseln zerbeißen, was in zahlreichen Fällen Vergiftungen nach sich zog, sorgen für Aufmerksamkeit. Immer wieder wird auch die Gefahr für kleine Kinder nachgewiesen und thematisiert. Nicht wenige Fachleute raten konkret von der Verwendung ab und das Landgericht Frankfurt am Main erklärte in 2018 eine Werbeaktion, bei welcher der Hersteller eben diese Waschmittel-Kapseln per Postwurfsendung an Haushalte verteilte, insgesamt als „Verbraucherbelästigung“ und damit als unrechtmäßig.

Die logische Frage, die sich in diesem Fall stellt, lautet warum der Hersteller bei so massiver Kritik nicht vollständig auf das Produkt verzichtet. Ohne Einblick in die Bilanzen muss davon ausgegangen werden, dass sich das Geschäft mit dem Produkt trotzdem lohnt oder zumindest als längerfristig rentabel eingeschätzt wird.

Sich damit zufrieden zu geben, ist jedoch wenig sinnvoll, wenn die Unternehmenskommunikation Mittel und Wege anbietet, einer negativen Beurteilung entgegen zu treten und im Sinne des Unternehmensimage vielleicht sogar aus der vermeintlichen Schwäche des Produktes eine Stärke des Unternehmens zu machen.

 

Die Flucht nach vorne

Kaum ein Produkt hat nur Stärken. Auch wenn das nicht heißen soll, dass sich für jedes Angebot vergleichbar unserem Beispiel echte Risiken in der Nutzung ergeben, gibt es doch meist Merkmale, über die Unternehmensverantwortliche in der Öffentlichkeit lieber sprechen und solche, die man zumindest selber nicht bevorzugt erwähnt.

Diese Feststellung gilt sowohl für Produkte und Dienstleistungen als auch für das Unternehmen an sich, zum Beispiel für Produktionsverfahren oder Auswirkungen auf das wirtschaftliche oder auch ökologische Umfeld.

Eine beliebte und verbreitete Strategie im Umgang mit solchen Schönheitsfehlern ist Stillschweigen. Schwächen selber zu thematisieren ist eher ungewöhnlich. Meist wird lediglich auf konkrete Nachfrage reagiert und auch dann nicht selten ausweichend, abwiegelnd oder verharmlosend.

Zwar kann man auch im Falle des Waschmittelherstellers wie beschrieben feststellen, dass die ungewöhnliche Art des Umgangs mit den Risiken des eigenen Produktes aller Wahrscheinlichkeit nach eine Reaktion auf wachsende Kritik ist, die Umsetzung ist jedoch zumindest bemerkenswert.

 

Krisenmanagement 2.0

Das Krisenmanagement befasst sich als Teildisziplin der strategischen Unternehmenskommunikation mit der angemessenen Reaktion auf Ereignisse, die sich negativ auf das Unternehmensimage auswirken können. Hierzu zählt im Sinne des Issues Management zwar auch die vorausschauende Vorbereitung anhand der Analyse potentieller Themen, auch hier ist die Initiative aber eher ein ungewöhnliches Mittel. Vielmehr legt das Krisenmanagement Werkzeuge und Strategien bereit, die im Falle eines Falles zeitnah genutzt werden können.

 

Verrückt, verantwortungsvoll, verlogen oder vielleicht …

Selber durch den Hinweis auf Risiken, die zum Beispiel die Empfehlung eines besonders aufmerksamen Umgangs mit einem Produkt letztlich darstellt, gewissermaßen Öl ins Feuer zu gießen, erscheint verrückt. Eine Interpretation ist jedoch, dass man sich als Anbieter seiner Verantwortung bewusst ist und den Kunden nach Geschäftsabschluss nicht mit dem erkannten Risiko alleine lässt. Aber ist das nicht verlogen? Wäre man sich der Mängel eines Produktes bewusst, sollte man diese dann nicht abstellen oder gänzlich auf das Produkt verzichten? Dem kann nur entgegengesetzt werden, dass die positiven Aspekte die negativen deutlich übertreffen. In unserem Beispiel wird das Risiko zudem geschickt relativiert, da es mit anderen Risiken des Alltags auf eine Stufe gestellt wird und eine einfache aber effektive Lösung präsentiert wird. Letztlich wird hiermit sogar die Verantwortung auf den Kunden übertragen, der informiert ist und weiß, wie er zu handeln hat. Tut er dies nicht, liegt das, nach dieser Logik, nicht in der Verantwortung des Herstellers.

 

Anders als andere

Was das Beispiel und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen besonders für die Unternehmenskommunikation wie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit interessant macht, ist der Aufmerksamkeitsfaktor.

Pressearbeit funktioniert nur, wenn sie sich erkennbar von der Werbung abhebt. Verantwortungsbewusste Medien machen sich nicht zum kostenlosen Verteiler für Produkt- oder Imagewerbung. Solche landet, in äußerer Gestalt einer Pressemitteilung, täglich hundertfach auf dem Schreibtisch eines Redakteurs und meist anschließend im Mülleimer.

Die große Kunst der Pressearbeit besteht folglich darin, das Unternehmen und sein Angebot gewissermaßen als Beigabe zu einer Information mit hohem Nachrichtenwert positiv zu präsentieren.

Diese Erkenntnis ist jedoch nicht nur Profis inzwischen bekannt. So wie die Werbung in den letzten Jahrzehnten immer weiter professionalisiert und damit standardisiert wurde, bedienen sich viele Unternehmen heute aus dem professionellen Wissens- und Erfahrungsschatz der Pressearbeit und produzieren inhaltlich wie formal korrekte Pressemitteilungen. Wie in der Werbung bedarf es folglich auch hier einiger Anstrengung, um sich aus der Masse abzuheben.

Schwächen des eigenen Produktes selber zu betonen, sie gleichzeitig zu relativieren, Lösungen zu bieten und insgesamt das Unternehmen als verantwortungsbewusst und ehrlich darzustellen, ist auf jeden Fall eine solche Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu wecken.

Wie das konkrete Beispiel zeigt, ist es mit einem Lippenbekenntnis jedoch kaum getan. Deshalb eignet sich eine solche Maßnahme nur als Teil einer umfangreichen Kampagne und bedarf entsprechend einigen Aufwands.

 

Fazit

Image ist vor allen Dingen ein emotionaler Begriff. Gerade Verbraucher fällen Entscheidungen nicht alleine aufgrund des Preises, sondern auch basierend auf der individuellen Einstellung zum Anbieter. Dabei werden Kunden zunehmend kritisch und für Schwächen sensibilisiert. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, sich mit den eigenen Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen und Strategien zu entwickeln, diese zu kommunizieren. Dabei ist reaktives Verhalten eine Möglichkeit. Besonderen Nutzen und großes Potential verspricht jedoch Eigeninitiative. Grade in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kann Initiative deutlich besser gesteuert werden als eine reine Reaktion. Gleichzeitig ist eine solche Strategie heute noch eher ungewöhnlich und weckt deshalb deutlich mehr Aufmerksamkeit. Es bedarf jedoch einer umsichtig ausgearbeiteten Strategie und einiger Professionalität, um diese Aufmerksamkeit in Richtung individueller Kommunikationsziele zu steuern, ohne Gefahr zu laufen, Prozesse anzustoßen, die dem Image eher schaden als nutzen.

Magdalena Lürwer

Über die Autorin

Magdalena Lürwer hat, als Head of Marketing bei der UNN, stets den Überblick über alle Themenbereiche in diesem Umfeld. Sie ist die Expertin für Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Advertising- und Social-Media-Strategien.

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