Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP nennt in Zeile 252 "eine Neustrukturierung der Regelungen zur Verlustverrechnung" als Ansatzpunkt für das Ziel, das Unternehmenssteuerrecht "weiter zu modernisieren und international wettbewerbsfähig zu gestalten". Prof. Dr. W. Edelfried Schneider, Geschäftsführer von HLB Deutschland, findet dies "angesichts einer inzwischen unübersehbaren Vielzahl von Verlustverrechnungsbeschränkungen nach geltendem Recht, die zum Teil unsystematisch und in sich widersprüchlich sind, an sich begrüßenswert". Doch bei einem Treffen zwischen Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern aus dem HLB-Netzwerk mit Haushaltsexperten aus den Fraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin warnte er davor, dass "eine weitere Einschränkung des Verlustabzugs insbesondere zyklische Industrien und Innovationstreiber mit typischen Anlaufverlusten aus dem Land treiben wird."
Es könne nicht angehen, dass der Fiskus im Zuge einer "Rosinenpickerei" sich nur am wirtschaftlichen Erfolg der Steuerpflichtigen beteiligen will, den Misserfolg aber außen vor lässt. Außerdem dürfe steuersystematisch auch die Verlustverrechnung nicht von der Zufälligkeit abhängig gemacht werden, ob sich ein wirtschaftlicher Misserfolg in demselben Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) einstellt, wie ein wirtschaftlicher Erfolg oder erst später. Im ersteren Fall ist ein Verlustausgleich uneingeschränkt möglich, im zweiten Fall nicht. "Verlustausgleich und Verlustabzug sind keine Steuervergünstigungen oder Subventionen, sondern Bestandteil einer zutreffenden Leistungsfähigkeitsbemessung", stellten die HLB-Experten im Gespräch mit den Parlamentariern klar.
Dass die derzeit kolportierten Zahlen von 500 bis 700 Milliarden Euro Verlustvorträge bei den Gewerbe- und Körperschaftsteuerpflichtigen in Deutschland tatsächlich fiskalisch relevant sind, bezweifelten sie. Denn bereits in den 90er Jahren sei allgemein bekannt gewesen, dass ein Großteil dieser Verlustvorträge auf Unternehmen entfielen, die letztlich von der öffentlichen Hand gehalten wurden. Wie z.B. damals insbesondere Tochtergesellschaften der Treuhandanstalt in den neuen Bundesländern. Und auch aktuell dürfte ein Großteil dieser Verlustvorträge auf Unternehmen entfallen, bei denen nicht damit zu rechnen ist, dass sie jemals Gewinne erzielen werden - wie z. B. Stadtwerke, die die Verluste aus Verkehrsbetrieben und Schwimmbädern quersubventionieren müssen. "Angesichts der unübersehbaren Vielzahl von Verlustverrechnungsbeschränkungen wäre es im Übrigen auch ein Armutszeugnis des Gesetzgebers, wenn die Verlustvorträge tatsächlich - wie behauptet - eine Gefahr für das Steueraufkommen in Deutschland darstellen würden", unterstreicht Dr. Stephan Salzmann, Partner in der Kanzlei LKC Kemper Czarske von Gronau Berz in Grünwald und Mitglied von HLB Deutschland.
Nach der Krise gewinnt die steuerliche Nutzung von Verlusten der Vergangenheit wieder an Bedeutung. Für Körperschaften stehen dabei drei Ausnahmen von der Mantelkaufregelung im Fokus: Die Konzernklausel, die stille Reserven-Klausel und die Sanierungs-Klausel. Die Konzernklausel, die in bestimmten Fällen konzerninterne Übertragungen ohne Untergang der Verluste ermöglicht, ist nach Meinung der Experten "unglücklich" formuliert, sodass man ihre Anwendbarkeit individuell abklären muss. Die in § 8c Absatz 1a des Körperschaftsteuergesetzes verankerte Sanierungsklausel steht derzeit nicht mehr zur Verfügung, nachdem die EU-Kommission diese Regelung als europarechtswidrige staatliche Beihilfe eingestuft hat und die Bundesrepublik Deutschland mit Beschluss vom 26. Januar 2011 angewiesen hat, sie nicht mehr anzuwenden und seit Beginn der Anwendungsfrist gewährte Beihilfen zurückzufordern.
Eine zeitliche Beschränkung der Vortragsfähigkeit von Verlusten (z. B. auf 5 Jahre) im Rahmen einer grundsätzlichen Neuregelung dürfe - so die Meinung bei dem Gedankenaustausch in Berlin - nicht mit der derzeit geltenden Mindestbesteuerung kombiniert werden, da sie verfassungsrechtlich umstritten sei. "Stattdessen sollte eine Rückbesinnung auf den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erfolgen", betont HLB Deutschland-Geschäftsführer Prof. Dr. W. Edelfried Schneider. Dazu sollte der Sanierungsgewinn angeschlagener Unternehmen rechtssicher und in vollem Umfang von der Besteuerung befreit werden, eventuell unter gleichzeitigem Verbrauch von Verlustvorträgen.